: Jüdisches Museum nicht nur für Berlin
■ Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, will keine jüdische Stadtgeschichte ausstellen, sondern den Libeskind-Bau als Museum und Zentrum deutschen Judentums nach Pariser oder Wiener Vorbil
Das Jüdische Museum soll nach den Vorstellungen seines Direktors Michael W. Blumenthal zu dem zentralen bundesdeutschen Museum für die Geschichte und Gegenwart des deutschen Judentums werden. Der Libeskind-Bau in der Lindenstraße, sagte Blumenthal am Wochenende auf dem Kolloquium „Perspektiven für das Jüdische Museum in Berlin“, dürfe „nicht zu einem Stadtmuseum, sondern muß zu einem deutschen Museum gestaltet werden“. Die Institution habe die Aufgabe, Berlin als Zentrum des deutschen Judentums auszustellen „und den Blick zugleich auf andere Perspektiven zu weiten“. Damit steht Blumenthal im Konflikt mit bisherigen Planungen der Stiftung Stadtmuseum.
Das Haus, betonte Michael Blumenthal, müsse die jüdische Geschichte in Deutschland möglichst vollständig „in ihren Höhepunkten und schrecklichen Tiefen“ präsentieren. Die Sicht von Juden und Deutschen sollte gezeigt werden. Das Thema Holocaust dürfe „nicht alles erdrücken“. Ebenso, regte Blumenthal an, sollten Aspekte des jüdischen Lebens eine Rolle spielen, die nichts mit Deutschland sondern Europa zu tun hätten.
Blumenthal sprach auf einer Tagung, zu der die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum e.V., Berlin, und die Akademie der Künste eingeladen hatten. Erst vergangene Woche hatte Kultursenator Peter Radunski (CDU) dem Jüdischen Museum nach jahrelangem Streit personelle, finanzielle und inhaltliche Autonomie zugesagt. Das Abgeordnetenhaus will darüber im Mai/Juni beschließen.
Unterstützung für einen „erweiterten Blick“ seines Museumkonzepts erhielt Blumenthal von anderen europäischen jüdischen Museen. Für Natalie Hazan-Brunet, Kuratorin im Pariser Musée d'Art et Histoire du Judaisme, besteht die Aufgabe jüdischer Museen darin, sich „allen Aspekten jüdischen Lebens“ zu öffnen. Im Unterschied etwa zur jüdischen Gemeinde Paris, die „lieber ein Museum der Shoa und der Sammlungen“ sehen würde, konzentriere sich das jetzige Konzept des Musée du Judaisme neben dem Antisemitismus auf andere Bereiche. So werden etwa die Anfänge jüdischer Kultur und Geschichte in Frankreich ebenso thematisiert wie deren Verflechtungen mit anderen europäischen jüdischen Gemeinden.
Das Pariser Museum, das von der Stadt und dem Kultusministerium finanziert wird und rund 80 Mitarbeiter hat geht noch einen Schritt weiter: So plant Hazan- Brunet demnächst eine Kunstausstellungen, „wo ich nicht einmal weiß, ob die Künstler jüdisch sind“. Vielmehr komme es darauf an, das Museum auch als Institution zeitgenössicher Kunst zu etablieren.
In eine ähnliche Richtung weist das Programm des neuen Jüdischen Museums der Stadt Wien. Das älteste europäische Museum für jüdische Geschichte, sagte die Kunsthistorikerin Felicitas Heymann-Jelinek, suche heute nach Konzepten für „ein Museum des 21. Jahrhunderts“. Zwar würden in den Vitrinen und Depots Sammlungen und historische Objekte ausgestellt, die als Zeugnisse jüdischer Kultur bis in die Nazizeit, die Erinnerung an das Leben und den Holocaust wachhalten sollen. Die Zukunft des Museums, so Heymann-Jelinek, liege aber in der artifiziellen Darstellung und Dokumentation der Vielfalt der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden – in Wien, Österreich-Ungarn und Europa.
Nicht ganz so weit ist man in Prag. Dort, wo die Nazis 1943 das perverse Konzept eines Jüdischen Museums zur Ausstellung eines ermordeten Volkes installieren wollten, ist man mit „Aufbauarbeit“ beschäftigt. Nach der Neugründung 1994, sagte Eva Adamova, stellvertretende Direktorin des Jüdischen Museums Prag, befinde man sich dabei, die Geschichte der Juden in Prag, der Slowakei und Tschechien „neu zu organisieren“. Gemeint ist damit, daß der ideologisch ausgerichteten Präsentation jüdischen Lebens und Sterbens bis 1994 nun eine andere folgen soll. Adamova sagte, man sei dabei die zahlreichen Bauten, Nachlässe und Sammlungen „zu dokumentieren“.
In Vorbereitung, so Adamova, seien neben der ständigen Ausstellungen der jüdischen Geschichte seit dem 10. Jahrhundert, besonders die Darstellungen der Geschichten der zahlreichen jüdischen Gemeinden des Landes. Weiter hofft sie, daß das Museum auch Bildungs- und Kulturzentrum Tschechiens werden kann. Derzeit besuchen jährlich rund 600.000 Menschen das Museum. In Wien waren es vergleichsweise von 1995 bis 1997 rund 125.000 Besucher. Rolf Lautenschläger
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