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■ Im Brecht-Jahr entdeckt: Brechts VorlagenBilder aus den schwarzen Wäldern

Es passiert nicht alle Tage, daß man als Urenkel und Erbe eines Kolonialwarenhändlers in Augsburg auf dem verstaubten Speicher Zeichnungen von Bertolt Brecht entdeckt, aber genau das ist dem in Elmischwang praktizierenden Zahnarzt Wolfgang Herkenrath (38) Ende Dezember vergangenen Jahres widerfahren. Beim Entrümpeln des Dachbodens seines verstorbenen Urgroßvaters stieß er auf ein Konvolut von Bleistiftskizzen, die mit „Brecht“ signiert waren und nach einhelliger Meinung von Experten unzweifelhaft vom jungen Bertolt Brecht angefertigt worden waren.

Doch bei dem Versuch, die unschätzbar wertvollen Zeichnungen an eine geeignete Stelle weiterzuleiten und der Brecht-Forschung zugänglich zu machen, erlebte der Erbe sein „blaues Wunder“ – alle winkten ab, igelten sich ein und machten dicht. „Behalten Sie Ihren Schweinkram“, teilte lapidar der Suhrkamp Verlag mit. Auch vom Marbacher Literaturarchiv wurde Herkenrath abschlägig beschieden: „Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß die Herrn Brecht zugeschriebenen Zeichnungen, von denen Sie uns Kopien haben zukommen lassen, den Kriterien unseres Hauses nicht genügen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn wir den Briefwechsel hiermit als beendet betrachten.“

Abgeschreckt hat die Archivare vermutlich vornehmlich das Zentralmotiv der Zeichnungen des jungen, bei der Anfertigung der Werke schätzungsweise 13- bis 16jährigen Brecht: die Vulva und ihr Drumherum. Bei der Abwägung der Frage, ob es ratsam sei, die frühen Skizzen in das offizielle Werkverzeichnis einzugliedern, könnte auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, daß es Brechts gefestigtem Image als Schürzenjäger abträglich sei, wenn seine anatomischen Irrtümer Publizität erlangten. Denn was Brecht sich da so im einzelnen ausgemalt hatte, sind nachweislich keine Zeichnungen nach der Natur, sondern nach der morbiden Phantasie eines pubertierenden Schülers: Bizarre Wülste gehen in eine Art Günter-Verheugen- Schamlippen über, und die zumeist in der Anusregion verortete Klitoris stellt sich dem Betrachter als Mischgebilde aus Klingelknopf und Aubergine dar.

Nach einer sexualpsychologischen Studie der Wayne State University in Detroit haben Bertolt Brecht und Wolfgang Herkenraths Urgroßvater die Zeichnungen möglicherweise zur geschlechtlichen Stimulation benutzt. Genauere Ergebnisse erwartet man von der laborchemischen Untersuchung der Originalzettel.

Währenddessen steht Wolfgang Herkenrath vor einem Rätsel. „Ich hatte gedacht, die reißen sich darum, aber anscheinend will keiner was von meinen Fundstücken wissen“, schimpft er. Sogar die Redaktion der Zeitschrift Sonnenfreunde, in die er seine letzten Hoffnungen gesetzt hatte, zeigte ihm die „kalte Schulter“ und schrieb zurück: „Haben Sie vielen Dank für die Bilder Ihres Freundes Berthold Berg. Leider entsprechen sie nicht den Standards, die wir von Zeichnungen dieser Art erwarten.“

Abhilfe schaffte erst der mutige Berliner Verleger Klaus Bittermann. In seinem Verlag, der Edition Tiamat, wird im Herbst 1998 ein Katalog der erotischen Zeichnungen Bertolt Brechts erscheinen: „Bertolt Brecht – Sämtliche Vorlagen vom Dachboden“, 248 Seiten, 140 Abb., kommentiert von Günter Amendt, mit einem Vorwort von Volkmar Sigusch und einem Nachwort von Klaus Theweleit, Subskriptionspreis zirka 258 Mark. „Wer zuerst ,kommt‘, mahlt zuerst“, schmunzelt der mit allen „Wassern“ gewaschene Verleger und lacht sich ins „Fäustchen“. Und dazu hat er auch allen Grund: Bereits jetzt ist das Buch 30.000mal vorbestellt worden. Gerhard Henschel

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