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Der Kampfzwerg im Weißen Haus

Clintons ehemaliger Arbeitsminister, der linksliberale Professor Robert Reich, hat eine liebenswürdige und ironische Studie über seine Jahre in Washington geschrieben – die Geschichte eines Lernprozesses über den Umgang mit den Mächtigen der USA  ■ Von Andrea Böhm

Es gibt unzählige Fotos von US- Präsidenten mit ihren Kabinettsmitgliedern, aber dieses eine hat optischen Seltenheitswert. Da steht der große Bill mit seinen gut 1,90 Metern und hat den Arm um den kleinen Bob gelegt, der bequem unter seine Achselhöhle paßt. Bill läßt seinen berühmten, pathetisch-erwartungsvollen Blick in die Ferne schweifen, als befände sich der Erzengel im Anflug; Bob hat dieses leicht gequälte „Bin-ich- hier-wirklich-richtig“-Lächeln im Gesicht. Der Große ist immer noch Präsident der USA, der Kleine war vier Jahre lang sein Arbeitsminister und hat darüber ein Buch geschrieben: das Tagebuch eines linksliberalen Profs, der auszog, um seine Bücher in die Praxis umzusetzen, und mit ein paar Beulen wieder nach Hause kam.

Man muß – soviel sei vorweg gesagt – ein bißchen mit den Details und dem Personal der US-Politik vertraut sein, um Robert Reichs sarkastische Memoiren vollends genießen zu können. Aber manche Szenen und Begebenheiten brauchen keine weitere Erläuterung, um die Absurdität des Planeten Washington zu verstehen: Da sind die Bediensteten des Arbeitsministeriums, die ihren ahnungslosen, designierten Chef in die Kellergewölbe seines neuen Arbeitsplatzes zum Drogentest abführen und sich darüber begeistern, daß in diesem Land niemand ohne Urinprobe ins Kabinett kommt. Da sind die abgebrühten Mitarbeiter des Kapitols, die dem redefreudigen Harvard- Ökonomen einbläuen, daß die Umgangsweise eines Ministers mit Senatoren und Abgeordneten von äußerster Demut und kurzen Sätzen geprägt sein sollte. Da sind die gruppendynamischen Kabinettssitzungen kurz nach dem Wahlsieg des Babyboomers Bill Clinton, auf denen jeder Minister vorschlagen soll, wie man mit gutem Beispiel vorangeht und Geld spart. „Wir fliegen nur noch Touristenklasse“, sagt Reich – und war von da an der Linksaußen in Clintons Mannschaft.

Reichs Tagebuchaufzeichnungen – im Englischen unter dem Titel „Locked In The Cabinet“, im Deutschen unter der nicht sehr originellen Überschrift „Goodbye, Mr. President“ veröffentlicht – sind keine Abrechnung mit Bill Clinton. Grund genug hätte Reich gehabt. Denn kaum einer sah seine Hoffnungen auf eine substantielle Kursänderung der Reagan-Bush- Ära so betrogen wie der Intellektuelle von der Ostküste, der sich zuvor mit Büchern wie „The Work of Nations“ einen Namen gemacht hatte. Doch Reich bleibt gegenüber seinem Studienfreund aus Oxford-Zeiten loyal, deutet allenfalls mit kleinen Beobachtungen an, wie Clintons Sucht nach Konsens und Harmonie ihn immer wieder dazu verleitet, einmal gemachte Versprechen wieder zu brechen – von der Gleichberechtigung Homosexueller im Militär bis zu Gesetzesinitiativen zur Stärkung der Gewerkschaften.

Was Reich statt dessen liefert, ist die ironische Chronologie einer Ernüchterung, eines manchmal brutalen Lernprozesses, den er mit Humor erträglich macht. Schnell ahnend, daß alle seine Wunschprogramme zur Erneuerung der industriellen Infrastruktur und zum sozialen Ausgleich von einer Welle der Wut auf „big government“, auf den großen Staat, weggespült werden, stellt er sich mit seinen 1,47 Metern vor die ärgsten Feinde und sagt: „Was soll das dumme Gerede vom riesigen Staat? Schauen Sie doch mich an.“ Schnell begreift er, daß die besten Absichten die schlechtesten Umfragewerte nach sich ziehen können. Zum Beispiel, wenn der Arbeitsminister gleich Robin Hood mit Kamerateams nach Oklahoma einfliegt, um eine Reifenfabrik wegen katastrophaler Arbeitsschutzbedingungen bloßzustellen, worauf deren Bosse alle Leute entlassen und die Verlagerung der Produktion ins Ausland ankündigen.

Und noch schneller realisiert Reich, daß die größte Macht in den Händen eines Mannes konzentriert ist, der nicht im Weißen Haus sitzt. Seine Frühstücksgespräche mit Alan Greenspan, dem Vorsitzenden des Federal Reserve Board, sind kleine Wortkriege zwischen einem, der mit Mühe und Not die Erhöhung des Mindestlohns von 4,25 auf 5,15 Dollar pro Stunde durchsetzt, und einem, der mit einer klitzekleinen Zinssenkung die Koordinaten der gesamten Weltwirtschaft verändern kann. „Du schmieriger Räuberbaron“, schimpft Reich zum Abschied. „Du bolschewistischer Zwerg“, faucht Greenspan zurück. Das haben sich beide natürlich nicht an den Kopf geworfen. Aber das wäre die Unterhaltung gewesen, die Robert Reich laut Tagebuch mit dem „mächtigsten Mann Amerikas“ gerne geführt hätte.

Man gerät bei der Lektüre manchesmal ins Staunen, ob es im Herzen der Weltmacht tatsächlich so chaotisch, so naiv, so pathetisch und manchmal so offen käuflich zugeht. Wenn Minister und Berater sich gegenseitig austricksen, um eine Unterredung mit Clinton unter vier Augen zu haben; wenn die Demoskopen die Ergebnisse ihrer elektronischen Beifallsmeßgeräte vorführen wie kleine Jungen ihre Legokonstruktionen; wenn Reich beim Empfang des mexikanischen Präsidenten Zedillo fast Prügel bezieht, weil er sich auf den Dinnerstuhl setzen will, für den ein Unternehmer 15.000 Dollar bezahlt hat; wenn die Minister unter Tränen ihre Mitarbeiter in Zwangsurlaub schicken, weil der republikanisch dominierte Kongreß der Regierung den Geldhahn zugedreht hat.

Am Ende seiner Amtszeit hatte der „kleine Bob“, wie Reich in Washington genannt wurde, die Spielregeln begriffen: Die beste Idee, das ehrenwerteste Motiv nützen nichts, wenn man es nicht in einen mediengerechten Deal einpacken kann. Robert Reich wäre nach der Wiederwahl Clintons gerne für eine weitere Legislaturperiode im Amt geblieben. Doch dann stellte er erschrocken fest, daß seine beiden Söhne in den letzten vier Jahren dreißig Zentimeter gewachsen waren und nun ihren Vater überragten, ohne daß der es richtig mitbekommen hatte. Also reichte er schweren Herzens 1995 seinen Abschied ein und kehrte zurück in das geregelte Leben eines Professors und Familienvaters. Vielleicht ist er insgeheim ganz froh, daß er rechtzeitig den Absprung geschafft hat und in seinem Tagebuch nichts über Bill Clinton und Monica Lewinsky notieren mußte.

Robert Reich: „Goodbye, Mr. President – Aus dem Tagebuch eines Clinton-Ministers“. List Verlag, 1998, 496 Seiten, 49,80 DM

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