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Polizei in ihre Schranken verwiesen

■ Amtsgericht hält es für rechtswidrig, daß Polizei AMOK-Demonstranten sechs Stunden festhielt und am Stadtrand aussetzte. Auch Obdachlose, die wieder zunehmend aus der Stadt gebracht werden, könnten sich

Der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten könnte weitreichende Folgen haben: Die Polizei hat „rechtswidrig“ gehandelt, indem sie eine Teilnehmerin einer genehmigten Demonstration am 3. Oktober 1997 auf dem Anfahrtsweg stoppte, sechseinhalb Stunden lang festhielt, schließlich an den Stadtrand fuhr und dort aussetzte. Eine Rechtsgrundlage für die Freiheitsentziehung sei nicht ersichtlich, heißt es in dem der taz vorliegenden Beschluß vom 20. März 1998. Auch vom Polizeilichen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) sei die Maßnahme nicht gedeckt. Mit dem beliebten Standardargument, die Maßnahme sei laut ASOG aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten gewesen, kam die Polizei nicht durch, weil schlicht und ergreifend keine Gefahr vorlag.

Die Antragstellerin, eine 24jährige Auszubildende, will nun Schadenersatzansprüche gegen die Polizei geltend machen, weil sie die gesamte Prozedur als „in hohem Maße entwürdigend und diskriminiernd“ empfand. Diesem Bespiel sollten alle Menschen folgen, die Opfer von Polizeiwillkürmaßnahmen werden, rät ihr Anwalt Hans- Christian Ströbele. „Am Stadtrand ausgesetzt werden von der Polizei nicht nur Demonstranten, sondern ganz häufig auch Obdachlose und Prostituierte.“

Die 24jährige Klägerin Saskia Sch. war am 3. Oktober 1997 zusammen mit anderen Leuten in einem Militärlastwagen auf dem Weg zu einer geplanten Demonstration „Das Volk lacht das Militär aus“. Veranstalter war das Anti-Militärische Oberjubel-Komitee (AMOK). Der Zusammenschluß linker Gruppen und Einzelpersonen hatte bereits ein Jahr zuvor am Tag der deutschen Einheit mit einer ähnlichen Parade mit mehreren tausend Teilnehmern großen Erfolg gehabt. Doch für Saskia Sch. und ihre Truppe von der KPD/RZ (Kreuzberger patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum) sollte die Fahrt diesmal schon um 11.30 Uhr am Klausener Platz in Charlottenburg enden.

Die junge Frau und ihre sieben Begleiter mußten unter Polizeibewachung stundenlang vor ihrem Fahrzeug stehen, durften weder essen noch rauchen, noch Kontakt zu Vorbeifahrenden aufnehmen. Ein Grund für die Freiheitsentziehung wurde nicht genannt. Gegen 14 Uhr wurden sie in einen Gefangenentransporter geladen und nach einer halben Stunde neuerlichen Wartens zum Polizeistützpunkt Ruhleben gefahren. Dort wurden sie ein zweites Mal durchsucht, wanderten bis 18 Uhr hinter Schloß und Riegel und wurden dann ohne weitere Begründung einzeln am Stadtrand ausgesetzt. Saskia Sch. fand sich ohne einen Pfennig Geld in der Tasche in Staaken wieder. Ihre Freunde mußten sehen, wie sie von Gatow und Kladow nach Hause kamen.

Auf ähnliche Weise befördert die Polizei auch Obdachlose und Prostituierte aus der Innenstadt. Nach dem allein im Frühjahr 1996 über 30 Fälle bekannt geworden waren, hatte die Innenverwaltung die Praxis nach einer Anhörung im Abgeordnetenhaus zunächst zwar sichtlich eingeschränkt. Der sozialpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Haberkorn, beobachtet jedoch seit einiger Zeit wieder eine deutliche Zunahme. Neben drogenabhängigen Prostituierten und Fixern seien davon auch wieder Wohnungslose betroffen. Haberkorn hat deshalb eine Anfrage an Innensenator Jörg Schönbohn (CDU) gerichtet, die Antwort steht noch aus.

Saskia Sch. zog gegen die Polizei zu Felde und gewann. Der Paragraph 31 des ASOG ermöglicht es einer festgehaltenen Person, auch im Nachhinein noch gegen die Ingewahrsamnahme zu klagen. Vor der im April 1992 in Kraft getretenen Neufassung des ASOG war dies nicht möglich. Voraussetzung ist, daß der Antrag innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsentziehung gestellt wird. Die Feststellung, daß die Polizeiaktion rechtswidrig war, tut den Uniformierten zwar nicht weh. Aber eine auf den Amtsgerichtsbeschluß aufbauende Inanspruchnahme von Schadenersatz könnte die Polizei „sehr wohl in ihre Schranken verweisen, wenn viele Betroffene davon Gebrauch machen“, glaubt Anwalt Ströbele. Plutonia Plarre

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