Pubertätsmix

■ In Autoreverse 1.0 zeigt Matthias von Hartz Heranwachsen in den 80ern

Wir basteln uns eine Biographie, und das jeden Tag aufs Neue. Erzählte Erinnerungen verändern sich mit jedem neuen Zuhörer, und je älter das rekapitulierte Ereignis wird, desto mehr kann sich der Blick zurück verklären. Sentimentales und Kitsch sind aus der privaten Geschichtsschreibung kaum wegzudenken. Sich der Sentimentalität zu stellen, ohne sich ihr zu ergeben, ist ein notwendiges Kunststück. Doch wieso erinnert man sich überhaupt? Man hört den Fetzen eines Songs, findet beim Aufräumen ein Tagebuch oder den alten Zauberwürfel wieder, und plötzlich ist eine Geschichte da: ein Freund, ein Nasenbluten, eine kleine Welt.

Erwachsenwerden, persönliche Legendenbildung und der Umgang mit Schlüsselreizen, die Erinnerungen hervorrufen – um diese elementaren Vorgänge kümmert sich Autoreverse 1.0. Das neue Stück des Regisseurs Matthias von Hartz wird im Rahmen der Jungen Hunde auf Kampnagel gezeigt und ist gleichzeitig seine Diplominszenierung am Institut für Theater, Musiktheater und Film der Uni Hamburg.

Es geht um die achtziger Jahre – der Regisseur, die fünf Akteure, Autor Alexander Gerner und auch fast alle anderen an der Produktion Beteiligten sind heute Ende zwanzig und blicken auf die Zeit ihrer Pubertät zurück. Daß es keine oberflächliche Mode-Revue werden soll, versteht sich eigentlich fast von selbst. Deswegen muß niemand befürchten, sich zerkratzte Simple-Minds-Platten anhören zu müssen. Ein Mitglied des Hamburger Multimediatrios Flugschädel, Ole Wagner, hat die alten Stücke zu Samples und musikalischen Zitaten verarbeitet, die in genauer Dosierung die Funktion der genannten Schlüsselreize übernehmen sollen. „Erinnerungsbilder sind mit Hilfe von Musik am schnellsten und emotional am deutlichsten abzurufen“, meint Matthias von Hartz. Es können aber auch Wörter, Spielzeuge oder Süßigkeiten sein, die den Akteuren Anlaß zu Erzählungen und Spielen bieten.

Autoreverse 1.0 ist eine Collage, entstanden aus privaten und erfundenen Geschichten, die von Alexander Gerner mehrfach überformt wurden. Es ist Theater ohne Figuren, das sich der Frage stellen will, wie authentisch es wirkt, wenn die Akteure vorgeblich eigene, vielleicht aber auch gestohlene oder offensichtlich widersprüchliche biographische Versatzstücke auf die Bühne bringen. Um den Erzählungen Ruhe zu verschaffen, ist in diesem Stück – im Gegensatz zu headstate, der letzten Inszenierung von Matthias von Hartz – die Trennung von Bühne und Zuschauerraum nötig.

Auch die ferner benötigte Selbstironie bringt Matthias von Hartz mit, wenn er sich fragt: „Wie lange dauert die Pubertät? Müssen wir jetzt aufhören? Oder dürfen wir endlich?“

Barbora Paluskova

Di, 14. und Do, 16. April, 19.30 Uhr, sowie Fr., und Sa, 17. und 18. April, 22.30 Uhr, Kampnagel, k4