: Kassen im Zahlzwang
■ Gerichtsurteil: Wo zugelassene TherapeutInnen fehlen, müssen Krankenkassen auch die Kosten für nicht zugelassene BehandlerInnen tragen
Das niedersächsische Landessozialgericht in Celle hat für OldenburgerInnen in psychischer Notlage eine Bresche geschlagen: Wer sich in der Huntestadt in einer akuten Krise befindet und – weil's woanders keinen Platz gibt – deshalb eine/n nicht zugelassene/n TherapeutIn aufsucht, muß die Behandlungskosten dafür nicht zwangsläufig aus eigener Tasche zahlen. So entschied das Gericht jedenfalls den Fall einer 37jährigen. Dabei waren die RichterInnen einem Gutachten gefolgt, nach dem Oldenburg psychotherapeutisch unterversorgt ist. Klartext: Dort gibt es nicht genügend durch die Kassen zugelassene TherapeutInnen.
Begonnen hatte der jetzt in einem Eilverfahren entschiedene Rechtsstreit im November '97. Da war die therapiebedürftige Oldenburgerin gegen ihre Krankenkasse vors Sozialgericht gezogen, weil die Kasse nicht für eine Therapie zahlte, die die Frau bei einer – von der Kasse – nicht zugelassenen Therapeutin begonnen hatte. Dabei war unstrittig, daß die Frau in Behandlung mußte. Das hatte zuvor ein dafür zuständiger, von der Kasse bestätigter Arzt dringend empfohlen. In seiner Überweisung hatte es geheißen, daß die Behandlung der alleinerziehenden Mutter zweier Kinder, die nach einer Trennung unter Depressionen litt, bei einer Therapeutin stattfinden sollte. Doch bei einer zugelassenen Therapeutin bekam die Verzweifelte so schnell keinen Behandlungsplatz; sie ging eigene Wege.
Das fand auch das Oldenburger Sozialgericht in erster Instanz nicht richtig. „Meiner Mandantin wurde vorgehalten, daß es genug zugelassene Therapeuten gebe“, zürnt der Oldenburger Fachanwalt Alfred Kroll. „Dabei hat sie nach dem Gesetz Anspruch auf eine leidensgerechte Behandlung – und die konnte ein männlicher Arzt in diesem Fall nicht gewähren.“Dies sei zuletzt auch vor dem Landessozialgericht in Celle so erörtert worden.
Die unwillige Krankenkasse muß neben den Anwalts- und Prozeßkosten der Klägerin jetzt auch deren insgesamt 30 therapeutischen Sitzungen bezahlen – so der vor Gericht geschlossene Vergleich. Dabei ist allerdings noch unklar, ob der Klägerin weitere Behandlungen bei derselben Therapeutin bezahlt werden; dies war nicht Gegenstand der aktuellen Entscheidung. Allerdings ist Anwalt Kroll nach einem ärzlichen Gutachten da optimistisch. „Danach wäre ein Therapeutinnenwechsel für meine Mandantin wie eine zweite Scheidung.“
Kroll wertet das Urteil „als Sieg auf der ganzen Linie“. In seiner Kanzlei sind 50 ähnliche Verfahren anhängig. Deshalb hofft er, daß sich das Celler Urteil schnell herumspricht. Schließlich hat das Landessozialgericht empfohlen, „etwaige in der Verwaltungsinstanz oder vor Sozialgericht anhängige Parallelverfahren entsprechend“dem abgeschlossenen Vergleich zu regeln, der sich übrigens an einer früheren Entscheidung des Bundessozialgerichts orientiert (6RKa 15/97). ede
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