: Eine überfällige Arbeit gegen den Mythos
■ Ein neues Buch über die bis heute wenig beachteten „Frauen um Rudolf Steiner“
„Dies ist ein kritisches Buch zur Entstehungsgeschichte der ,Geisteswissenschaft‘, die Steiner immer noch als alleinigen Urheber betrachtet“, erklärt Juliane Weibring ihr Ziel, „aus patriarchatskritischer Perspektive zur Entmythologisierung der sakrosankten Gründerfigur“ beizutragen.
Eine solche Entmythologisierung war in der Tat überfällig, und sie gelingt auf überzeugende Weise. Ob es sich um die Erfindung der Eurythmie, die anthroposophische Heilkunde oder den Bau des Goetheanums handelt: überall weist die Autorin nach, daß die vermeintlich originären Schöpfungen Steiners in weiten Teilen von Frauen erbracht wurden, deren Leistungen der „Meister“ im nachhinein für sich okkupierte. Hier tritt eine breitangelegte und bis heute gepflegte Plagiatsstrategie zur Steinerschen Mythenpflege zutage, deren Aufdeckung von vielen AnthroposophInnen wohl nicht gerne gesehen wird – zumal Weibrings Thesen sorgfältig belegt und somit nicht einfach als Polemik abzutun sind.
Freilich hält sich die Autorin hinsichtlich einer generellen Kritik an der Anthroposophie weitgehend zurück, was zum Beispiel bei der Frage nach Steiners rassentheoretischem Nationalismus zu euphemistischen Tendenzen führt, wenn sie lediglich konstatiert: „Solche Formen deutschen Nationalbewußtseins waren tief verankert im Zeitgeist jener Epoche.“
Besondere Stärken dagegen entwickelt das Buch in der Art, wie die lebensgeschichtliche Darstellung der für Steiner maßgeblichen Frauen mit historischen, soziologischen und philosophischen Aspekten verwoben wird. Ob es sich um den engen Kontakt zur Schriftstellerin Rosa Mayreder beim Verfassen seiner „Philosophie der Freiheit“ oder die direkte Übernahme der Grundpfeiler der Anthroposophie aus Helena Blavatskys Theosophie handelt: überall zeigen sich die nur bedingte Originalität Steiners und sein Schöpfen aus fremden, später verleugneten Quellen. Und wer sich vom kritischen Anspruch des Buches Sensationen erhofft, kommt auch auf seine Kosten: Von Steiners Kokaingebrauch über seine Prostituiertenbesuche bis hin zu den streckenweise intriganten Macht- und Autoritätsstrukturen der Anthroposophischen Gesellschaft ergibt sich ein patriarchalisches Gesamtbild, unter dessen Eindruck man der Autorin nur zustimmen kann, wenn sie feststellt: „Es spricht doch auch für sich, daß Anthroposophinnen sich nicht für Feminismus und Feministinnen sich nicht für die Anthroposophie interessieren.“ Beide Seiten sollten sich jedoch für dieses Buch interessieren. Friedwart Maria Rudel
Juliane Weibring: „Frauen um Rudolf Steiner. Im Zentrum seines Lebens. Im Schatten seines Wirkens“. Athena Verlag, Oberhausen 1997, 196 Seiten. ISBN 3-932740-02-5
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen