: Kein Bock auf den Dienst am Vaterland
Miguel möchte weder den Militärdienst noch den zivilen Ersatzdienst ableisten. Aus Protest gegen die Armee desertierte er und ließ sich spektakulär verhaften. Jetzt erwarten den Pazifisten sechs Jahre Militärhaft ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Miguel lächelt zufrieden, als er von vier Polizisten unsanft auf den Rücksitz des Streifenwagens geschubst wird. An seinen Handgelenken baumeln noch Reste der Kette, mit der er sich am Tor der Kommandantur der spanischen Armee in Madrid festgeschlossen hatte.
Miguel, Mitglied der spanischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerer (MOC), hat seit Monaten auf seine Verhaftung hingearbeitet, nachdem er sich während des Militärdienstes einfach aus der Kaserne abgesetzt hatte. „Totalverweigerer in den Kasernen“ steht auf dem knallgelben T-Shirt, das der junge Pazifist trägt. „Fahnenflucht“ nennen es die Militärrichter, die den Haftbefehl gegen ihn ausgestellt haben.
Alles begann letzten Frühsommer mit einem Kloß im Hals und einer Lüge. „Zwei Wochen, nachdem ich den Militärdienst in Cáceres angetreten hatte, erhielten wir erstmals Ausgang“, erinnert sich Miguel an jenen 27. Mai 1997. Er packte seine Siebensachen in den Rucksack, tauschte die Militäruniform gegen normale Kleidung und ging schnurstracks aufs Kasernentor zu. „Ich hatte ganz schön Bammel, dieses ungute Gefühl, irgend jemand könnte mir anmerken, was ich vorhatte“, beschreibt Miguel seine Schritte in die Freiheit. Prompt wurde er von der Wache gestoppt. „Das Herz rutschte mir in die Hosentasche. Warum ich einen Rucksack dabei hätte, wollte der Wachsoldat wissen“ – Sekundenbruchteile des Schweigens, dann kam Miguel die Ausrede: „Ich habe hier in der Stadt eine Tante und bringe ihr meine Wäsche.“ Es klappte. Miguel durchschritt den Torbogen, den das Motto der Armee ziert: „Alles für das Vaterland“.
Ein paar Meter weiter warteten vier Gesinnungsgenossen aus der MOC mit einem Auto. Als die roten Backsteinbauten im Rückspiegel verschwanden, atmete Miguel auf. Erstmal ging es auf ein Bier nach Cáceres, dann nach Madrid. „Alles war zeitlich genau geplant“, erinnert sich Miguel. Er kam gerade rechtzeitig zu „Insumisia“, dem allwöchentlichen Programm der Totalverweigerer (Insumisos) im freien Radio Onda Latina. Nachdem ihn der Sprecher begrüßt hatte, griff Miguel zum Telefon. „Ich rief den wachhabenden Offizier in der Kaserne in Cáceres an“, erzählt Miguel. Ein absurder Dialog begann. Während Miguel seine Fahnenflucht bekanntgab, stammelte die Stimme am anderen Ende nur: „Junge, mach keinen Scheiß, spätestens morgen früh will ich dich hier sehen.“ Miguel erreichte, daß der wachhabende Offizier eine Nachricht für den Kompaniechef entgegennahm. „Ich – bin – de-ser- tie-rt, – um – ge-gen – die Ar-mee – zu – pro-te-stie-ren“, wiederholte der Offizier, während er mühsam mitschrieb. Noch heute muß Miguel lachen, wenn er an die Live-Schaltung denkt.
Fortan wurde er per Haftbefehl gesucht, tauchte bei einem Freund unter. Das war besser so. Die Polizei sprach mehrmals bei seinen Eltern vor – was denen gar nicht gefiel, denn Miguels Mutter ist hohe Beamtin in einem Ministerium.
„Meine Entscheidung für die Totalverweigerung fiel bereits sehr früh“, sagt Miguel. Er erinnert sich noch gut, wie er zum ersten Mal mit Freunden im Gymnasium Informationen beim MOC einholte. „Wenn ich mich dem Staat verweigere, dann schon richtig“, begründet er seine Entscheidung, weder Militärdienst noch zivilen Ersatzdienst abzuleisten, denn „wer Zivildienst macht, verursacht dem Militärsystem keine Probleme“. Neuntausend spanische Jugendliche denken wie er.
Als es dann soweit war, ging Miguel allerdings einen Schritt weiter als normal üblich. Anstatt sich der Einberufung zu widersetzen, folgte er ihr erst einmal und wurde dann zum Deserteur – gerade damit er verhaftet wird. Denn nach einer Gesetzesreform gab es für normale Totalverweigerung keine Haftstrafen mehr, sondern nur noch den zeitweisen Entzug der Bürgerrechte. „Gewissenstäter in Haft erregen zuviel Aufsehen“, beschreibt Miguel die Gründe für die Strafrechtsreform. Mit der Totalverweigerung in den Kasernen haben die Pazifisten die Behörden erneut gezwungen, sie per Haftbefehl zu suchen.
„Die zwei Wochen in der Kaserne haben mich in meiner pazifistischen Haltung nur noch bestärkt“, sagt Miguel. „Einmal ließ uns der Ausbilder so lange in der Sonne stehen, bis einer ohnmächtig wurde. Ein Kollege half ihm auf“, erinnert sich Miguel. Statt Lob gab es Ausgangssperre, „wegen Unterstützung eines Schwächlings“ – so die Begründung des Ausbilders, eines Offiziers der spanischen Legion. „Im Unterricht erzählte er uns immer, daß es in der spanischen Gesellschaft einen gewissen Prozentsatz an Schwulen, Muslimen, Zigeuner und Drogenabhängige gebe.“ Die Drohung: „Ich werde bald herausfinden, wer hier wer ist.“
Einmal desertiert, ließ Miguel trotz Haftbefehl keine der Protestaktionen des MOC aus. Der kleine graue Rucksack, den Miguel sein „Knastpaket“ nennt, war immer mit dabei. Sein Inhalt: Zahnbürste, Rasierzeug, Unterwäsche, ein paar Fotos seiner Freundin und von den besten Kumpels, ein Buch des lateinamerikanischen Autors Eduardo Galeano und ein Sammelband mit Texten des russischen Anarchisten Kropotkin. „Schließlich war ich ja zur Fahndung ausgeschrieben“, sagt Miguel, der sich in zwei Wochenendseminaren auf die Zeit hinter Gittern vorbereitet hat. Neben den Rechten eines Gefangenen lernte er dort, mit Frust und Einsamkeit umzugehen und auch dann noch ruhig zu bleiben, wenn er einmal zu harsch angepackt werden sollte. Verhaftet wurde er allerdings dann erst, als er es direkt darauf anlegte und sich am Tor der Chefkommandantur festkettete.
Jetzt schlägt Miguel abermals die Zeit in einem Gebäude tot, über dessen Eingang das Motto „Alles für das Vaterland“ prangt – dem Militärgefängnis von Álcala- Meco. In dem von hohen weißen Mauern eingezäunten Gebäude in einem breiten Tal auf der Hochebene vor Madrid wartet Miguel auf sein Gerichtsverfahren. Bis zu sechs Jahre Gefängnis können es werden. Die erste Woche Untersuchungshaft geht zur Neige. Miguel wirkt ruhig und ausgeruht, als er in Badeschlappen, Trainingshosen und gestreiftem Sweatshirt die Tür zu Besuchsraum A öffnet. Er macht es sich auf einem der abgewetzten orangefarbenen Sessel gemütlich und beginnt zu erzählen.
„Der Empfang hier war phantastisch“, schwärmt er. Drei weitere Deserteure des MOC, die bereits vor einigen Monaten zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt wurden, nahmen ihn in ihren Kreis auf. Gemeinsam schlagen sie Tag für Tag mit Diskussionen und mit einem 100.000-Teile-Puzzle die Langeweile tot.
„Im Vergleich zu dem, was mir Totalverweigerer aus normalen Haftanstalten erzählt haben, gleicht das hier mehr einem Internat als einem Gefängnis“, sagt Miguel. Keine restlos überfüllten Zellen, die Sektion ist mit elf Gefangenen mehr als überschaubar. Es zirkulieren keine harte Drogen, sondern nur Haschisch – kein Aids, keine Gewalt unter den Gefangenen und keine Vergewaltigungen. „Wir vier sind hier die Exoten“, grinst Miguel. Die meisten der Mitgefangenen sind einfache Soldaten, die sich während dem Militärdienst ein paar Tage aus der Kaserne gestohlen haben, oder Offiziere, die wegen Diebstahls einsitzen.
Eine kleine Gruppe von Polizisten aus der paramilitärischen Guardia Civil verbüßt hier Haftstrafen wegen ihrer Verwicklung in die Drogenmafia. „Und dann haben wir noch einen Prominenten: José Rodriguez Galindo“, beendet Miguel die Aufzählung. Der General der Guardia Civil sitzt seit über einem Jahr in U-Haft. Er wird beschuldigt, die Antiterroristischen Befreiungsgruppen (GAL) angeführt zu haben, die in den achtziger Jahren nach Feierabend 28 Menschen aus dem ETA-Umfeld ermordeten.
„Du bist hier weiterhin Soldat“, zeigt sich Miguel erstaunt. Während General Galindo in seiner Zelle über Computer und Mobilfunk verfügt, hat Miguel nicht einmal eine Steckdose für ein Radio oder eine Nachttischlampe. Wenn die Schließer das Licht abstellen, ist Feierabend. Die Rangunterschiede sind überall zu spüren. Hohe Offiziere dürfen sogar außerhalb der Haftanstalt zwischen der Gefängnismauer und einem Metallzaun Hofgang machen. So sehen sie das weite Feld, während sich die normalen Soldaten mit grauem Beton zufriedengeben müssen. Für sie kündigen nur die warme Brise durch die Gitter der offenstehenden Fenster und das Gezwitscher der Vögel den nahenden Frühling an.
Plötzlich grinst Miguel: „Den rebellischen Geist haben sie uns noch nicht ausgetrieben.“ In den nächsten Tagen wollen die vier mit Protestaktionen beginnen. „Im ersten Schritt werden wir uns weigern, am Putzdienst teilzunehmen.“ Miguel droht als Strafe dafür Besuchsentzug, den drei bereits Verurteilten ein erneutes Verfahren wegen Befehlsverweigerung – Strafmaß: bis zu zwei Jahre Militärhaft.
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