: Jospin muß sich von den Rechten stützen lassen
■ Ausländerpolitik und Euro spalten Frankreichs linke Regierung. Der sozialistische Premierminister rettet seine Mehrheit nur mit Hilfe der konservativen Opposition
Paris (taz) – Der Euro und die Einwanderung vertiefen die Risse in der rot-rosa- grünen Regierung in Paris: Nachdem die Koalitionspartner schon am Vortag in Sachen Europäische Zentralbank in der Nationalversammlung gegeneinander gestimmt hatten, waren die Sozialisten gestern erneut mit der Gegnerschaft von Grünen und Kommunisten konfrontiert. Das von Innenminister Jean-Pierre Chevènement im Parlament vorgestellte Einwanderungsgesetz kritisieren beide als „zu repressiv“. Fünf von sechs Grünen wollen daher gegen das Gesetz stimmen, die Kommunisten werden sich enthalten.
In einer von Protestrufen von Konservativen („zu lasch“) und Linken („repressiv“) unterbrochenen Rede verteidigte Premier Lionel Jospin seinen Innenminister. Dessen Politik nannte er „human, realistisch und ausgewogen“. Franzosen, die in den vergangenen Tagen mehrfach mit Demonstrationen am Flughafen Roissy verhindern wollten, daß Immigranten aus Mali an Flugzeugsessel gefesselt nach Bamako transportiert wurden, bezeichnete Jospin als „unverantwortlich“.
Angesichts der wiederholten Tumulte beim Abflug, bei denen auch Passagiere verhaftet wurden, die die Abschiebekandidaten schützen wollten, hat gestern die Fluggesellschaft Air France erklärt, sie werde künftig „nur noch einen Abschiebekandidaten pro Flug“ mitnehmen. Offenbar ist die Fluggesellschaft um ihren Ruf besorgt. Denn seit Jospin bei seiner Antrittsreise nach Afrika versprochen hatte, es werde keine „Abschiebecharter“ mehr geben, waren alle Abschiebungen auf Linienmaschinen verlagert worden.
In die Einwanderungsdebatte eingeschaltet haben sich erneut auch französische Filmemacher. Denn parallel zu der Debatte über das Einwanderungsgesetz läuft die Frist für die Bearbeitung der 150.000 Anträge auf Regularisierung von „papierlosen Ausländern“ in Frankreich ab. Bislang hat die Verwaltung jeden zweiten Antrag abgelehnt. Wie vor etwas über einem Jahr, als noch der Konservative Jean-Louis Debré Innenminister war, geht jetzt an Chevènement die Frage: „Warum dieser repressive Eifer?“ Ein Appell, den bis gestern 147 Cineasten unterzeichnet haben, verlangt, daß alle Einwanderer, die einen Antrag gestellt haben, auch ihr Papier bekommen.
Abgelehnte „Papierlose“ haben unterdessen fünf Kirchengebäude besetzt. Mehrere Bischöfe haben diese Aktionen gebilligt und Chevènement zur Regularisierung sämtlicher Antragsteller aufgefordert. Der Innenminister warf den Kirchenmännern daraufhin vor, sie seien für den Vormarsch der rechtsextremen Front National verantwortlich.
Angesichts der sinkenden Unterstützung auf der Linken wendet sich Jospin verstärkt den Konservativen zu. So kam die Kompetenzübertragung von der französischen an die Europäische Zentralbank nur dank einer faktischen großen Koalition zwischen Sozialisten, der konservativen UDF und den Gaullisten zustande.
Dorothea Hahn Kommentar Seite 12
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