: Weltmusik in Entenhausen
Traditionelle Musik am Nullpunkt: In Diepgens zukünftiger Disney-Stadt spielt nur noch das Polizeiorchester ■ Von Peter Pannke
Von der Schließung des „Internationalen Instituts für Traditionelle Musik“ möge bitte nicht mehr gesprochen werden, wünschte sich Moderator Rainer Pöllmann vom 17. Hauptstadtkulturforum des Rats der Künste, das Anfang März die Situation der freien Musikszene Berlins erörtern sollte. Unappetitlich genug ist dieses Kapitel allerdings, aber der menschliche und juristische Scherbenhaufen, den der letzte Institutsleiter Max Peter Baumann hinterließ, ist immer noch nicht aufgeräumt. Der betrieb die Schließung offensichtlich nach dem Sintflutprinzip. In förderungspolitischer Hinsicht blieb nur noch eine Tabula rasa zurück.
Wie der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Lutz von Pufendorf, bestätigte: Eine Förderung „ethnischer“ Musik, welcher Spielart auch immer, findet in Berlin seit der „Liquidation“ des Internationalen Instituts für Traditionelle Musik (IITM), das anscheinend ein Monopol auf Berliner Kulturmittel auf dem Gebiet traditioneller Musik besaß, nicht mehr statt. Die ganze Palette von Förderungsinstrumenten, die Künstlern in den anderen Musiksparten angeboten wird, fehlt im Bereich „ethnischer“ Musik völlig. Damit wird eine kaum überschaubare Zahl von Musikern, Musiklehrern, Komponisten und Musikgruppen aller Niveaus vom hochklassischen Ensemble bis zum Straßenmusiker aus dem Berliner Musikleben ausgegrenzt. Systematisch erfaßt wurde die multikulturelle Szene nie, wenn man einmal von den völlig unbrauchbaren „Klangbildern Berliner Musik“ absieht, die das IITM vor Jahr und Tag im Kassettenformat auf den Tisch legte.
Daß das Institut für jede Veröffentlichung vier professorale Gutachten anforderte, über denen die Kollegen dann jahrelang grübeln durften, während die Musiker bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Veröffentlichung ihrer Produktionen zu warten hatten, war in der Grunewaldvilla in der Winklerstraße gängige Praxis. Für den persischen Santurspieler Behnam Manahedji wirkte sie sich existenzbedrohend aus: Nachdem er es entnervt aufgab, immer wieder nach der ihm vom IITM in Aussicht gestellten Veröffentlichung zu fragen, begann er schließlich in der Musikschule Neukölln zu unterrichten. Das Ergebnis war, daß er von der Ausländerberhörde zur sofortigen Ausreise aufgefordert wurde. Institutsleiter Baumann, von der Senatsverwaltung um eine Stellungnahme gebeten, konnte sich nur noch erinnern, diesen Musiker schon lange nicht mehr gesehen zu haben. Gerettet hat Behnam Manahedji dann nur die Intervention des Hauses der Kulturen der Welt und des SFB, die ein Solidaritätskonzert veranstalteten und die CD-Produktion realisierten.
Ähnlich erging es der „Sinti- und Roma-Union“, die dem Institut 1992 ein internationales Kulturfestival der Roma und Sinti antrug. Das kam zustande, wenn auch die vorgesehenen Veranstaltungen im Brandenburger Umland alle abgesagt werden mußten, weil die lokalen Veranstalter den Polzeischutz der Sinti-Musiker nicht garantieren mochten. Ausfallhonorare für die Musiker wurden selbstverständlich nicht gezahlt. Vor allem aber brachte das IITM auch die vertraglich vereinbarte Veröffentlichung einer Video- und CD-Dokumentation nie zustande. Trotzdem wurden die Aufnahmen dem Archiv einverleibt. Zusammen mit den restlichen Beständen wurde sie dann vom Kultursenat, der Anspruch auf die Hinterlassenschaften erhob, der Universität Bamberg, an die Baumann inzwischen zurückgekehrt ist, als „Dauerleihgabe“ vermacht. Die „Sinti- und Roma-Union“ erhob Klage. Lottogelder – mit denen die Kulturtage finanziert wurden – bekommt sie jetzt allerdings nicht mehr bewilligt, denn die Abrechnung, die Baumanns Institut vorlegte, war so mangelhaft, daß sie von der zuständigen Kommission nicht akzeptiert wurde.
Zusammen mit dem Direktor, Archiv und Tonstudio sind auch sämtliche Originalbänder der Unesco-Collection aus Berlin verschwunden, mit denen sich das Institut einst weltweiten Ruf erwarb. Nach dem Tode des Institutsgründers Daniélou bemühten sich sowohl die in Venedig ansässige Fondazione Cini, in der sein Nachlaß zusammengeführt wird, als auch die Unesco um diese Bänder, denn in Paris war seit langem eine Wiederherausgabe geplant. Eine Antwort von Baumann erhielten sie nie; der daraufhin eingeschaltete Kultursenat verwies darauf, daß man über die weiteren Pläne von Herrn Prof. Baumann noch nicht informiert sei. Anfang 1998 tauchten die Aufnahmen dann auf spektakuläre Weise wieder auf: auf einer auf 50 CDs angelegten Serie der amerikanischen Rounder Records, denen Baumann die Urheberrechte übertragen hat. Ob er dazu befugt war, ist zweifelhaft, denn zumindest bei der legendären „Musical Anthology of the Orient“ gehörten sie nicht dem IITM, sondern Daniélou, der die Aufnahmen lange vor der Gründung des Instituts gemacht hatte. Und so prüfen nun auch die Unesco und der International Music Council, ob der Leihvertrag zwischen der Berliner Senatsverwaltung und der Universität Bamberg Rechtens ist.
Die CDs einer „Living Musical Traditions“ genannten Reihe, die Baumann in eigener Regie produzieren ließ, sind mittlerweile endgültig in der Versenkung verschwunden – möglicherweise in einem Keller der Universität Bamberg.
Da bei diesen Aufnahmen weder an eine Bestellnummer noch an die Registrierung eines Plattenlabels gedacht worden war, sind sie in keinem Katalog des Plattenhandels verzeichnet, mithin nicht verkäuflich. Und da auch keinerlei Gema-Registrierung erkennbar ist, sind sie auch im Rundfunk nicht einsetzbar. Die Musiker aber schauen wieder einmal in die Röhre – der Trägerverein des Instituts, der für ihre Urheberrechte einzustehen hätte, ist nicht mehr greifbar.
Hier erreicht die Geschichte endgültig den Unterhaltungswert einer Panzerknacker-Ballade aus einem Mickymausheft. Bei der Schließung des IITM wurde nämlich ein juristisches Bermuda-Dreieck installiert, in dem alle, die Anspruch auf dessen Hinterlassenschaft erheben – und deren sind noch einige mehr –, im Kreis herumgeschickt werden. Baumann versuchte, für den Trägerverein des Instituts beim zuständigen Amtsgericht Charlottenburg Konkurs anzumelden – der wurde nicht angenommen. Der Verein aber hat sich als aufgelöst erklärt; sicherheitshalber ließ Baumann einen Notvorstand einsetzen, allerdings nur und ausschließlich zu dem Zweck, sich selbst von seiner Verantwortung als Vorstandsvorsitzender befreien zu lassen. Pikanterweise hat aber auch der Kultursenat noch Ansprüche an den Verein, denn bei der „Liquidation“ wurde vergessen, die Vereinskonten zu räumen. Und so beantragte auch der Kultursenat die Einsetzung eines Notvorstands, um die restlichen Fördergelder auf sein Konto zurückführen zu können. Ein Liquidator, der die ordnungsgemäße Auflösung des Vereins garantiert hätte, konnte nicht mehr eingesetzt werden, weil die nötigen Mittel nicht mehr zur Verfügung standen. Die Anwaltskosten, die Baumann in den letzten Jahresetat eingeplant hatte, gingen bei den Prozessen gegen seine eigenen Mitarbeiter drauf – diese bekamen zwar vom Arbeitsgericht Entschädigungen für fehlerhafte und viel zu späte Kündigungen, aber mangels Masse gingen sie leer aus.
Wie soll das alles enden? Ein Rechtsnachfolger des Instituts dürfte es schwer haben, die Altlasten zu beseitigen. Und doch ist ein solcher in Sicht: Nach einem Spendenaufruf des SFB im August 1996 erklärte sich der Berliner Verleger Arno Spitz bereit, den finanziellen Grundstein für eine Stiftung zu legen, die die bisherige Arbeit in Berlin weiterführen sollte, wenn sich weitere Berliner Bürger an dieser Aktion beteiligen würden. Und siehe da – eine erkleckliche Summe von über 100.000 Mark kam zusammen. Die aber schlummern nun seit Jahr und Tag auf einem notariellen Sonderkonto. Mittlerweile erklärte Spitz, daß er sein Geld zurückfordern würde, wenn die Stiftung nun auch noch nach Bamberg abgezogen würde. Eine sinnvollere Alternative wäre eine Neugründung in Form einer „Initiative Weltmusik“, die als Dachverband von Musikern, Gruppen, Veranstaltern, Wissenschaftlern und Journalisten fungieren und das anstreben sollte, was ursprünglich einmal die Aufgabe des Instituts war – nämlich die Aufführungsmöglichkeiten für Musiker zu verbessern. Daß Berlin sich vom Schaufenster des Westens in eine Drehscheibe von Migrantenströmen verwandelt hat, setzt allerdings eine grundsätzliche Neuorientierung voraus.
Daß man mittlerweile der Larmoyanz müde ist, mit der sich das IITM als Retter der Musikkulturen der Welt hochstilisierte, während es in Wirklichkeit nur noch um seine musikethnologischen Pfründen kämpfte, ist verständlich. Eben dieser Bonus des Retters der Kulturen erlaubte es ihm, in den letzten Jahren seiner Existenz in einem quasi kritikfreien Raum zu operieren.
1998 ist die Berliner Weltmusikgeschichte wieder am Nullpunkt angekommen, kurz bevor sie ihr 100jähriges Jubiläum hätte feiern sollen. Die Archive sind verschenkt oder verschlossen; an den Universitäten sind die Lehrstühle abgeschafft, die Studenten gehen wieder ins Exil. Die Erhöhung der Ausländersteuer hat die freie Szene, auf der Veranstaltungen von privaten Enthusiasten ohne jede öffentliche Förderung und meist ohne Gewinnmarge realisiert wurden, zusammenbrechen lassen. Wer sich einmal um fünf Uhr morgens in die Warteschlange vor der Ausländerbehörde am Moabiter Friedrich-Krause-Ufer eingereiht hat, weiß von den granitenen Verhinderungsstrategien deutscher Beamter ein Lied zu singen. Und Roma-Musiker werden heute nicht mehr zu Festivals eingeladen, sondern von der Polizei den Ku'damm auf und ab gejagt – schließlich sind ja auch das nur Wirtschaftsflüchtlinge, die perfiderweise am deutschen Wohlstand teilhaben wollen.
Die vom Aussterben bedrohten Völker sind 1998 aber nicht die Musiker, die immer auf Strategien des Selbsterhalts angewiesen waren, sondern das kleine Völkchen der Musikethnologen. Die Rhetorik der 70er Jahre, in der immer von der Rettung des Kulturerbes der Menschheit geredet wurde, hat ohnehin nie überzeugt – am wenigsten die Musiker, bei denen wenig genug hängengeblieben ist. In der zukünftigen Disney-Stadt Berlin, die Diepgen Anfang der Woche den Bürgern in der Berliner Morgenpost präsentierte, gibt es dafür keinen Bedarf mehr – da reicht es allemal, wenn auf den Gartenpartys der Koalitionsgrößen, die hinter dem Rücken des Abgeordnetenhauses das „Internationale Institut für Traditionelle Musik“ gekillt haben, das traditionelle Berliner Polizeiorchester aufspielt. Und eine Entenhausener Schule der Vergleichenden Musikwissenschaft wird auch nicht mehr benötigt, weil das Polizeiorchester einfach unvergleichlich ist. Einen Unterschied zur Panzerknackergeschichte gibt es allerdings doch – im Mickymausheft landen die zum Schluß immer im Knast.
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