: Dachschaden bei der taz
Nichts war umstrittener an der 68er-taz als dieses Klassenfoto der Revoluzzer in der „Produktion“ auf der Titelseite. 35 GastredakteurInnen waren mit postrevolutionärer Disziplin der Einladung der taz-Redaktion gefolgt, sie für einen Tag zu „entmachten“ und in eigener Regie eine Ausgabe zu erstellen. Der bunt zusammengewürfelte Haufen einst bös befreundeter und gut verfeindeter Weltveränderer ackerte brav. „Deadline 16.00 Uhr!“. Einzig dieser kleine Hinweis der taz-Profis reichte am ersten Tag noch aus, die alte chaotische Tugend wegzubeamen, Endlosdiskussionen über alles und nichts vom Zaun zu brechen. Bis ... am Freitag um 12.25 Uhr die von den journalistischen Beobachtern von ARD bis PRO 7 langersehnte Grundsatzdiskussion die taz-Redaktion in ihren Grundfesten erschütterte: „Unerträgliche Eitelkeit! Widerlicher Narzismus! Unsere Gesichter so wichtig zu nehmen!“ tönte es von der einen Seite und: „Ein Foto der für den Erfolg der Friedensverhandlungen demonstrierenden nordirischen Kinder vor Schloß Stormont muß auf die Seite eins!“ — „Bloß nicht wieder so heilig und so protestantisch wie damals, wo immer nur auf Weltniveau geeifert werden durfte“, schallte es von der anderen Seite zurück. Und ein Hauch von 68 wehte durch die Redaktionsräume der taz. Was auch hieß: Eine Einigung war nicht möglich. Also Abstimmung. Kampfabstimmung. Prompt behaupteten beide Lager, sie hätten die Mehrheit gehabt. Ein Nachweis konnte nicht erbracht werden, denn im Eifer des Gefechts war vergessen worden auszuzählen. Herein- und herausrennende Gastredakteure, freudig grinsende journalistische Beobachter von ARD bis PRO 7, deren Augen bald so blitzten wie ihre Kameralinsen, hatten ihren Spaß. Also: Zweite Kampfabstimmung! Und die zweite Zufallszusammensetzung (war's Zufall, war's Verschwörung? von wem?, und welcher Geheimdienst steckte dahinter?) entschied sich mit eindeutiger Mehrheit für das (letzte?) Klassenfoto auf der Titelseite. Hier also, geneigte Leser der taz, habt ihr die angekündigten Revoluzzer von einst, denen ihr nun in die Augen und Texte sehen könnt.
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