: Die PKK verliert eine Legende
Semdin Sakik, Feldherr der Kurdenorganisation, setzt sich in den Nordirak ab und kritisiert den Führungstil von PKK-Chef Öcalan. Jetzt holen ihn die türkischen Militärs ■ Von Herbert Klein
Berlin (taz) – PKK-Chef Abdullah Öcalan (Apo) ist einen seiner wichtigsten Kommandanten los. Mitte März lief Semdin Sakik (Deckname: der fingerlose Zeki) zu der mit der türkischen Armee kooperierenden Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) im Nordirak über. Gestern meldeten türkische Medien, eine Spezialtruppe des türkischen Generalstabs, habe ihn dort abgeholt und in die Türkei geschafft.
Zuvor war es dem Ex-Kommandanten, der jahrelang im flachen Gelände der Provinz Diyarbakir der türkischen Armee trotzte, ergangen wie anderen PKK-Dissidenten auch: Der Abtrünnige wurde samt seiner Familie von bekannten Personen in und um die PKK als „vergnügungssüchtiger Verräter“ und „Agent der psychologischen Kriegsführung des Feindes“ hingestellt. Anlaß seines Abfalls von Öcalan sei einzig, daß er den Anforderungen des Krieges und des obersten Befehlshabers nicht gewachsen war. Früher geschah dies in organisationsinternen Publikationen. Nun gibt es auch noch den Satellitensender Med TV, in dem die Verehrer von Apo zu Wort kommen.
Sie reagieren angeblich auf türkische Medien, die in „Zeki“ seit Jahren Öcalans ärgsten Widersacher und hinter seinem Abschied eine Spaltung der PKK vermuten. Die türkische Regenbogenpresse mit Marktführer Hürriyet verbreitete Berichte über angebliche weitere abtrünnige PKK-Kommandanten und publizierte angebliche Äußerungen Sakiks, in denen er den PKK-Chef als „Huhn ohne Federn“ bezeichnet haben soll. Im Gegenzug bekamen vier Veteranen der PKK am 5. April in Med TV Gelegenheit zu verkünden, wie stark sie dem Vorsitzenden Apo verbunden seien und wie wertlos dagegen der „fingerlose Zeki“ für die PKK sei. Einer der Kommandanten wußte gar zu berichten, daß Zeki ein berüchtigter Schürzenjäger sei, der in räuberischer Manier die Führung der PKK an sich reißen wollte.
Einen Tag darauf meldete sich Sakik in der türkischen Redaktion der britischen BBC, ein unter Kurden sehr beliebter Rundfunksender. In einer dreiseitigen Erklärung, die der taz vorliegt, wunderte er sich, daß „die PKK in ihren Organen die gleiche Sprache und Logik benutzt, wie die kolonialistische Presse“. Er habe mitnichten die Flucht ergriffen, sondern sei „in mein Land, zu meinem Volk zurückgekehrt“ und genieße „bei der gastfreundlichen KDP jegliche Bewegungsfreiheit“. Leider habe er sich zu spät gegen die „Fluchtmentalität der Führung“ der PKK gewandt, die dem Land und dem Kampf entflohen sei.
In der Erklärung bezieht sich Sakik auf mehrere in den Medien gegen ihn angeführte Kritikpunkte. Nicht er habe Frauen und Kinder ermorden lassen, sondern spezielle Einheiten, die 1996 nach dem 3. Kongreß der Partei von der PKK-Führung ausgebildet wurden. Nicht er habe die Zentralisierung der PKK verhindert, sondern Öcalan, der seit 1986 kein Zentralkomitee mehr zusammenrief und jedes Zentralorgan als „abwischbare Schiefertafel“ benutzt habe. Der PKK-Cehf habe durch seine Machtpolitik die Partei „zur Sekte gemacht und sich selbst „zum Scheich ausgerufen“.
Schließlich übernimmt Sakik, im Unterschied zu Öcalan, die Verantwortung für eine Aktion in der Region Bingöl. Im Mai 1993 hatten PKKler dort einen Reisebus überfallen und 33 darin sitzende Soldaten erschossen. Die PKK kündigte damit einen von Öcalan erklärten einseitigen Waffenstillstand auf. Öcalan behauptete, mit der Aktion nichts zu tun zu haben. Laut Sakik fiel der Entschluß in einer Zeit, in der „der Feind intensive Angriffe führte, die nicht nur die Guerilla zum Ziel hatten“. Die türkische Armee habe versucht, „psychologisch die Oberhand zu gewinnen, indem sie vermehrt zu Verbrennungen von Dörfern und Vertreibungen griff“. Öcalan habe deshalb Order gegeben: „Ihr könnt von dem Recht auf Vergeltung Gebrauch machen.“
Die Erklärung Sakiks soll Med TV vor der Sendung am 5. April vorgelegen haben. Der Wunsch des Moderators, daraus zu zitieren, wurde jedoch abgelehnt.
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