Algerien: Bürgermeister sollen Hinrichtungen organisiert haben

■ Zeitung berichtet über die Beteiligung staatlicher Stellen am Terrorismus. Ortsvorsteher wollten sich bereichern

Madrid (taz) – Was Menschenrechtsorganisationen seit langem behaupten, will die algerische Presse jetzt belegen können: Staatliche Stellen sollen am Terror gegen die Zivilbevölkerung beteiligt sein. Die parteiunabhängige Tageszeitung Liberté beschuldigte in ihrer Montagsausgabe mehrere Bürgermeister und Mitglieder von Selbstverteidigungsgruppen in der westalgerischen Region um Relizane, Massenhinrichtungen organisiert zu haben. Die Zeitung war auf den Fall aufmerksam geworden, nachdem sich in den letzten Tagen Meldungen über das plötzliche Verschwinden von Bürgermeistern sowie Mitgliedern der Selbstverteidigungsgruppen häuften. Einwohner von Relizane und dem Nachbarort Jdiouia berichteten, daß die fraglichen Personen nicht etwa von radikalen Islamisten entführt, sondern von der Armee verhaftet worden seien. Sie stünden unter dem Verdacht, mindestens 69 Menschen getötet zu haben, deren Leichen in zwei Massengräbern und einem Brunnen gefunden worden seien. In der Wohnung eines der Verhafteten seien zudem umgerechnet 130.000 Mark, die von den Opfern stammen sollen, gefunden worden. In einem Land, in dem der Mindestlohn 100 Mark beträgt, ein unvorstellbares Vermögen.

Neben dem Bürgermeister von Relizane gehört auch dessen Sohn zu den Verhafteten. Auch in Jdiouia seien neben dem Ortsvorsteher dessen beide Söhne sowie sein Bruder und ein Neffe festgenommen worden. Unter Berufung auf „gut informierte Quellen“ berichtet die Zeitung Liberté außerdem vom „Verschwinden“ der Bürgermeister von Zemmoura, Meriama und Boudaoud. Zumindest die Bürgermeister von Relizane und Jdiouia gehören der Regierungspartei National-Demokratische Versammlung (RND) an. Offizielle Stellen wollen die Verhaftungen nicht bestätigen.

Seit der Waffenruhe gehört die Gegend um Relizane zu den am meisten terrorisierten Gebieten. Alleine während des Fastenmonats Ramadan verloren hier über 1.000 Menschen bei Überfällen ihr Leben. Die Regierung machte, trotz Zweifeln von Teilen der Opposition und Menschenrechtsgruppen, in der Regel islamistische Terroristen für die Massaker verantwortlich. Reiner Wandler