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Die Mission ist beendet, der Patient amputiert

Unis im Umbruch (Folge 1): 50 Jahre nach ihrer Gründung erlebt die Freie Universität einen dramatischen Wandel  ■ Von Ralph Bollmann

Peter Gaehtgens blickt aus dem Fenster seines Dienstzimmers auf die Villen und Gärten Dahlems. Daß seine Hochschule „mehr im Ländlichen angesiedelt“ ist, gilt dem Ersten Vizepräsidenten, der seit dem Unfall von Uni-Präsident Johann W. Gerlach die Freie Universität (FU) kommissarisch leitet, als Ausdruck „kritischer Distanz“ der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft. Deshalb, sagt Gaehtgens, störe es ihn überhaupt nicht, daß die konkurrierende Humboldt-Universität (HU) repräsentativ im Zentrum der Hauptstadt residiert. Ohnehin sei „die nicht- ideologisierte Tradition der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1948 auf die FU übergegangen“.

Diese Fiktion einer breiteren Öffentlichkeit wieder ins Gedächtnis zu meißeln, obwohl Unter den Linden die Freiheit von Forschung und Lehre längst wieder Einzug gehalten hat, dazu sollen die Feierlichkeiten zum 50jährigen FU-Jubiläum dienen, die heute in ihre heiße Phase eintreten. Erstmals empfängt die FU ihre neuen Studenten wieder mit einer „Immatrikulationsfeier“. Zugleich hat sie die Gründungsstudenten eingeladen. Einer von ihnen, der frühere Verfassungsrichter Ernst Benda, hält die Festansprache. Am 16. April 1948 mußten drei Studenten die Humboldt-Universität aus politischen Gründen verlassen. Dieser Vorfall gab den Anstoß zur Gründung der FU, die zum Wintersemester 1948/49 ihre ersten 2.140 Studenten aufnahm. Ernst Reuter eröffnete sie am 4. Dezember 1948 mit einer Rede im Steglitzer Titania-Palast.

Stark politisiert sollte die FU bleiben. Zwanzig Jahre nach dem Auszug aus dem Osten rebellierte eine neue Studentengeneration gegen den Muff im Westen. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wähnten sich die „Notgemeinschaft für eine Freie Universität“ (NoFU) und der „Bund Freiheit der Wissenschaft“ von Kommunisten umzingelt. Präsident Rolf Kreibich, der erste Assistent an der Spitze einer deutschen Universität, fürchtete „eine Art Bürgerkrieg auf dem Dahlemer Campus“. Doch im Laufe der 70er und 80er Jahre verlagerte sich das politische Engagement innerhalb der Hochschule zunehmend in Sektierergruppen einerseits und hochschulpolitische Kungelrunden andererseits. Bis Ende der achtziger Jahre wuchs die FU zur größten deutschen Hochschule mit rund 60.000 Studierenden heran.

Doch mit dem Fall der Mauer kam die Krise. In der Logik des Traditions-Arguments hätte es gelegen, die FU kurzerhand an den alten Standort Unter den Linden zu verlegen. Außer dem Geschichtsprofessor Arnulf Baring mochte sich für diesen Vorschlag kaum ein Politiker oder Wissenschaftler in Ost oder West erwärmen. Der damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) zog es dagegen vor, die Humboldt- Universität eigenständig zu erneuern. „Ich baue auf Konkurrenz“, erklärte Erhardt. Deshalb wolle er die HU „mit besonderer Sorgfalt“ behandeln, auch wenn er „die Restriktionen des Haushalts“ nicht verkenne.

Doch eben diese Restriktionen schlugen seither kräftig zu. Statt damals drei Milliarden Mark sollen die Unis im Jahr 2000 nur noch zwei Milliarden jährlich vom Land erhalten. An der FU schrumpfte die Zahl der Studierenden in den vergangenen fünf Jahren von rund 60.000 auf nur noch 43.000. Gaehtgens sieht in diesem Schwund vor allem eine „Karteibereinigung“. Obligatorische Studienberatung und Semestergebühren vergraulten all jene, die sich nur der billigen BVG-Karte wegen Semester für Semester zurückmeldeten. Zugleich ist die FU bei Studienanfängern aus der Provinz nicht mehr en vogue. Wer früher nach Kreuzberg zog und an der FU studierte, mietet sich jetzt in Prenzlauer Berg ein – mit der HU vor der Tür.

Schon frühzeitig versuchte die FU aber auch, durch Zulassungsbeschränkungen in nahezu allen Fächern die Zahl der Studierenden dem finanziellen Schrumpfkurs anzupassen. Erfolg hat sie damit vor allem in Fächern wie Geschichte, Germanistik oder Politologie, wo die Bewerber an andere Unis ausweichen können. In Fächern mit bundesweitem Numerus Clausus hingegen ist es den Aspiranten immer wieder gelungen, den Anspruch auf einen Studienplatz einzuklagen.

Um ihr Image bei den Politikern aufzupolieren und der drohenden Abwicklung zu entgehen, beugte sich die FU den politischen Vorgaben bereitwilliger als andere Unis – von der „Zwangsberatung“ bis zum Abbau der Professorenstellen um 40 Prozent, die der Akademische Senat im Dezember ungeachtet der Studentenproteste beschloß. Das Konzept von Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU), den Unis per Hochschulvertrag feste Zuschüsse auf bescheidenstem Niveau zu garantieren und ihnen den unangenehmen Job des Kürzens selbst zu überlassen, ist aufgegangen. Schon der HU-Förderer Erhardt lobte am Ende seiner Amtszeit, die FU zeige sich am reformfreudigsten.

Vizepräsident Gaehtgens freut sich denn auch, die FU werde in der Öffentlichkeit nicht mehr als „Chaotenhaufen“ wahrgenommen, sondern als „eine der produktivsten Universitäten in ganz Deutschland“. Die Diskussion um eine Uni-Fusion oder gar eine mögliche Schließung der FU sei folgerichtig „zu den Akten gelegt“, freut er sich. Dazu mag auch beigetragen haben, daß sie mit den einstigen Asta-Funktionären Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky über starke Fürsprecher in der Landespolitik verfügt.

Mit dieser Erleichterung läßt sich vielleicht auch erklären, daß Gaehtgens trotz der deprimierenden finanziellen Perspektive geradezu Aufbruchstimmung verbreitet. „Wir sind nicht unglücklich, daß die FU kleiner wird“, bekennt er. Viele Probleme habe die FU „allein wegen ihrer Größe“, denn „in den fetten Jahren“ sei „manches gewuchert“. Weitere Kürzungen kämen aber auch in seinen Augen einer „Katastrophe“ gleich. „Wir müssen endlich zum normalen Tagesgeschäft übergehen, wir dürfen uns nicht in endlosen Sitzungen verschleißen.“

Die Geschwindigkeit, die „Art und Weise“ des Abbaus ist freilich auch dem Vizepräsidenten ein Dorn im Auge. Nur über den Verkauf von Immobilien könne die Uni in den kommenden Jahren die ärgsten Engpässe überwinden. „Sonst sind wir ruiniert“, klagt er, „dann können wir nächstes Jahr keine Mittelbau-Stellen mehr besetzen“. Wenn es um die Absicherung der „Kernaufgaben“ Forschung und Lehre gehe, bekennt Gaehtgens, habe er „alle Hemmungen verloren“. Als erste deutsche Universität will die FU keine Bücher mehr für ihre zentrale Bibliothek kaufen. Die verbleibenden Fachbibliotheken sollen von Uni-fremden Benutzern künftig Gebühren verlangen.

„Daß das alles im fünfzigsten Jahr passiert“, hält Gaehtgens für einen „kalendarischen Zufall“. Doch mit dem Jubiläumsjahr trägt die FU auch ihre politisch bedingte Sonderrolle endgültig zu Grabe. Die FU sei „eine unter vielen Universitäten geworden“, ließ sich Festredner Benda schon im Vorfeld entlocken, „sie ist guter Durchschnitt und erfüllt ihre Aufgabe, mit der man zufrieden sein kann.“

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