: XY unspannend
■ Die Performerin Wendy Houstoun bei den „Jungen Hunden“auf Kampnagel
Die Künstlerin ist offenkundig eine Liebhaberin von Rätseln. Noch bevor Wendy Houstoun am Schauplatz des Geschehens auftaucht, kündigt eine sonore Tonbandstimme eines an. Ein Tatort wird gesucht: eine Bühne mit einer Jacke, einem Stuhl und einem Haufen Menschen, die alle in eine Richtung starren. Die seltsame Geschichte einer jungen Frau namens Veronica nimmt hier ihren Anfang. Einer jener tragischen Fälle, die niemand versteht, verheißt das Band in onkelhaftem Tonfall.
Den Onkel kennen wir als Eduard Zimmermann. Wie sein Pendant in Großbritannien heißt, wird nicht verraten, aber daß sich Wendy Houstoun von der britischen Ausgabe des gepflegten Wohnzimmerschreckens XY ungelöst hat inspirieren lassen, ist unübersehbar. In ihrer Trilogie Haunted/Daunted & Flaunted, im Rahmen der Jungen Hunde auf Kampnagel zu sehen, wird schon das Betreten der Bühne zu einem unerklärlichen Phänomen.
Es folgen achtzig nicht minder geheimnisvolle Minuten, in denen der Hintergrund des Verbrechens so dunkel wie die Tat selbst bleibt. Die britische Tänzerin und Performerin verzichtet auf jede kriminologische Feinarbeit. Ihr Stück ist die lyrische Interpretation einer unheilsschwangeren Atmosphäre, die Fakten bloße Requisiten. Veronicas Lebenslauf wird auf Klischees zusammengestaucht: unglückliche Kindheit, kriminelle Vergangenheit, verständnislose Liebhaber. Im Zentrum steht das, was normalerweise zwischen den Zeilen vor sich hindümpelt: Wieviel Risiko war sie bereit einzugehen? Wann hatte sie den Punkt erreicht, ab dem sie nicht mehr zurückkehren konnte?
In ihrer 17jährigen Performance-Karriere, die sie u.a mit Rose English und Nigel Charnock zusammenführte, sei vor allem die Zusammenarbeit mit der Physical Theatre Company DV8 entscheidend gewesen, so Houstoun. Sie bezeichnet sich als „stand up dancer“, weil sie mit minimalen Mitteln auskommt: Körper, Stimme, dezente musikalische Untermalung. Mit ihrem Körper zeichnet sie Figuren wie mit einem Zirkel, der sich mal mit eleganter Trägheit, mal hektisch und zappelig bewegt. Das stimmliche Repertoire ist dagegen mau. Eigentlich redet Houstoun immer im gleichen Tonfall, und das ohne Unterbrechung.
So kann Haunted/Daunted & Flaunted nur jenen empfohlen werden, die über drei Voraussetzungen verfügen: sehr gute Englischkenntnisse, Interesse an Rätseln und Begeisterung für Tanztheater mit Groovefaktor Null.
Barbora Paluskova
nur noch heute, 20.30 Uhr, Kampnagel k2
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