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Europas Bollwerk im Osten

Die europäische und die deutsche Einigung brachten zahlreiche Veränderungen an Deutschlands Grenzen. An jenen zu Ländern der Europäischen Union verschwinden Schlagbäume und Kontrollen; an Oder und Neiße, der neuen deutschen Ostgrenze zu Polen und Tschechien, hingegen wird munter aufgerüstet, und auch der Bundesgrenzschutz bekommt neue Aufgaben. Von Otto Diederichs

Als die EG-Mitgliedsstaaten sich 1985 darauf einigten, die politischen Grenzen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft aufzuheben, stürzte der Bundesgrenzschutz (BGS) in eine schwere Sinnkrise. Es war absehbar, daß bisherige Aufgaben entfallen würden. Mitten in die Krise platzte zudem die Auflösung des Ostblocks und die deutsch- deutsche Vereinigung. Auch die innerdeutsche Grenze konnte damit als Legitimation nicht mehr herhalten, und das Vorhalten verbandsmäßig gegliederter Kräfte an den Grenzen zu Polen und zur Tschechoslowakei war im friedenspolitischen Wind Anfang der neunziger Jahre wenig überzeugend.

Die Existenzangst des BGS stellte sich rasch als unbegründet heraus. Statt Arbeit abzubauen, führten sowohl der deutsche wie auch der europäische Zusammenschluß zu neuen Aufgaben: Zunächst übernahm der BGS in den neuen Bundesländern die einstige Transportpolizei und die Sicherung der Flughäfen – und 1992 auf den Gleisen der Einheit gesamtdeutsch die Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherung. Auch das Schengener Abkommen sorgte für einen neuen Schub, denn in den Denkmustern von Polizeien und Innenministerien haben Grenzen ihre Funktion als „Kriminalitätsfilter“ nie verloren. Um den „Sicherheitsverlust“ durch den Wegfall der Binnengrenzen wettzumachen, waren deshalb von vornherein Ausgleichsmaßnahmen beschlossen worden, um die EU-Außengrenzen zu einer „harten Grenze“ für Straftäter und sogenannte Drittausländer zu machen, wobei man unter letzteren zunehmend Armutsflüchtlinge und AsylbewerberInnen verstand. Da Deutschland mit der Einheit an Oder und Neiße eine neue EU-Außengrenze erhielt, zog der BGS gen Osten und machte aus ihr eine der bestgesicherten Grenzen der Welt.

Mit der zum 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes verfügt das Grenzschutzpräsidium (GSP) Ost mit Sitz in Berlin über insgesamt fünf Grenzschutzämter mit jeweils ca. 2.300 MitarbeiterInnen; davon sind rund 6.200 BGS-BeamtInnen, die übrigen Angestellte. Einzig das Grenzschutzamt Berlin hat keine unmittelbare Grenzüberwachungsfunktion. Das Amt Rostock erhielt im Zug der Aufgaben- Neuverteilung die Zuständigkeit für ganz Mecklenburg-Vorpommern, während die des Amtes in Frankfurt (Oder) auf den östlichen Teil Brandenburgs eingeschränkt wurde. Für den nordöstlichen Teil des Freistaates Sachsen zeichnet nun das Grenzschutzamt Pirna verantwortlich. Das neu eingerichtete BGS-Amt Chemnitz ist für den südlichen Teil Sachsens zuständig. An der Landesgrenze zu Bayern übernimmt das (zum GSP Süd in München gehörende) Grenzschutzamt Schwandorf gemeinsam mit einer speziellen bayerischen Grenzpolizei die Bewachung der Grenze zur Tschechischen Republik. Im Norden überwacht der BGS See die deutschen Küstengewässer.

Jedes der Ämter mit einem unmittelbaren grenzpolizeilichen Auftrag wurde zudem mit einer „mobilen Komponente“ ausgestattet. Hierunter versteht man Einheiten von jeweils etwa 75 BeamtInnen, denen vom Amtsleiter, unabhängig vom Routinedienst, eigenständige Aufgabenschwerpunkte – etwa die gezielte mobile Überwachung eines bestimmten Grenzabschnitts, Straßenkontrollen oder die Fahndung nach gemeldeten illegalen EinwanderInnen – zugeteilt werden können. Im Bedarfsfall können diese Einheiten, ebenso wie jene Grenzschutzämter, die über keine eigene „mobile Komponente“ verfügen, Unterstützung von nahe gelegenen Einsatzverbänden anfordern.

Bereits im Sommer 1996 schwärmte man beim GSP Ost von der „höchsten grenzpolizeilichen Dichte in ganz Europa“. Dazu beigetragen haben sogenannte Grenzunterstützungskräfte (GUK), die der BGS seit Frühjahr 1993 unter der Bevölkerung der strukturschwachen Grenzregion anwirbt. „Ganztägig unter Kontrolle“ wird das Kürzel im Jargon der Grenzer übersetzt. Im Gegensatz zu früher, als diese Hilfskräfte überwiegend die BeamtInnen der mobilen Einheiten als Fahrer- oder FunkerInnen unterstützten, verrichtet die Mehrzahl der GUKs heute als Schreibkraft oder bei der Gefangenenbewachung Aufgaben im Innendienst. Zum Teil nehmen sie auch erkennungsdienstliche Behandlungen vor und geben die Fingerabdrücke in das „Automatische Fingerabdruck-Identifizierungssystem“ (AFIS) beim Bundeskriminalamt.

Nicht verwechselt werden dürfen sie mit selbsternannten Grenzwächtern vom Schlage jener Bürgerwehren, die seit sechs Jahren in Forst bei Cottbus ihre Streifen laufen und von deren Kooperation der BGS heute am liebsten nichts mehr wissen würde (siehe taz v. 16. 3. 98). Ebensowenig haben die GUKs als reguläre BGS-Angestellte etwas mit den „Sicherheitspartnerschaften“ gemein, die die brandenburgische Polizei überall aus der Taufe hebt, um solchen bürgerwehrähnlichen Ansätzen die Spitze zu nehmen.

Aus (grenz-)polizeilicher Sicht kann man indes zur Grenzsicherung kaum zuviel tun. Während Behörden im allgemeinen bei der Ausrüstung mit moderner Bürotechnik eher rückständig sind, weiß man an der Ostgrenze, daß der heutige Mensch ohne High-Tech nur die Hälfte wert ist. So sind die BGSler dort seit rund fünf Jahren mit Nachtsicht- und Wärmebildgeräten ausgestattet. Über hundert dieser Geräte, die auf die Körperwärme eines Menschen ansprechen und deshalb auch bei Dunkelheit oder Nebel eingesetzt werden können, sind heute im Einsatz; einige davon auf den Patrouillenbooten oder an den Hubschraubern des BGS festmontiert.

Seit Dezember 1996 relativ neu im Einsatz sind Kohlendioxyd-Detektionsgeräte. Sie erfassen das mit der Atemluft eines Menschen ausgestoßene Kohlendioxyd und sollen Flüchtlinge in verplombten Containern aufspüren. Für die Suche nach Schmuggelgut werden zusätzlich Gammastrahlgeräte eingesetzt, die Hohlräume in Karosserien und Reifen auf Schmuggelgut durchleuchten.

Daß der BGS das enge Korsett des Grenzschutzes längst verlassen hat, zeigt am deutlichsten die Einrichtung von Inspektionen zur Verbrechensbekämpfung, die bei allen Grenzschutzämtern (mit Ausnahme des BGS See) eingeführt wurden. Die zwischen vierzig und achtzig BeamtInnen starken Inspektionen koordinieren die Fahndungs- und Ermittlungshandlungen des Amtes. Außerdem erfolgt hier die Bearbeitung örtlicher und überregionaler Ermittlungsverfahren – vorwiegend im Bereich der Schleuserkriminalität und der sogenannten organisierten Kriminalität mit grenzüberschreitendem Bezug.

Hier werden wie bei jeder „richtigen“ Polizei Informationen gesammelt und ausgewertet. Hier sollen die „Superhirne“ des BGS entstehen. Ebenso wie die Kriminalpolizei der Länder schleusen sie unterdessen getarnte Ermittler in die (Schlepper-)Szene ein, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Ihre Arbeit koordinieren sie mit Landespolizeien und Zollbehörden. Auch gemeinsame Arbeitsgruppen sind eher die Regel als die Ausnahme.

Eine Grenzpolizei im traditionellen Sinne soll es laut Bundesinnenminister Manfred Kanther in Zukunft denn auch nur noch an den Grenzen zu Polen und Tschechien geben. An den Schengen-Binnengrenzen laute nun der Auftrag: „Weg vom Schlagbaum zur Raumsicherung in engster Zusammenarbeit mit der Landespolizei und den Grenzpolizeien der Anrainerstaaten“.

Offenbar nicht nur dort. Ihren ersten Einsatz ins sächsische Hinterland hat die Inspektion Verbrechensbekämpfung des Grenzschutzamtes Pirna bereits hinter sich: Insgesamt 27 Wohnungen durchsuchte Sachsens Landespolizei im Januar in Amtshilfe für den BGS, um Beweise gegen eine mutmaßliche Paßfälscherbande zu finden. Koordiniert wurde die Aktion vom BGS in Pirna.

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