: Die vielen Gesichter der Medusa
■ Vom Gewahrsam zum Museum: Der ehemalige „Vorhof zur Hölle“am Ostertor wird zum Wagenfeld-Haus
Es ist der Deputation nicht unbekannt geblieben, daß der Gedanke, in oder an den öffentlichen Spazierwegen ein Gefängnis zu erbauen, Anstoß erregt habe. Sie würde auch lieber einen anderen Platz vorgeschlagen haben. Ihren verehrten Committenten giebt sie überdies auch noch das Folgende zu bedenken: Die äußere Ansicht des zum Gefängnis bestimmten Gebäudes stellt sich so dar, daß nichts die Bestimmung desselben andeutet oder verräth.
Schon früh verstanden sich die BremerInnen auf das Spiel mit dem schönen Schein und einem vollkommen anderen Inhalt. Es war der 6. April 1821, als die provisorische Finanzdeputation dem Bürgerkonvent über den Planungsstand zum Bau des „Detentionshauses“berichtete. Das zum Zweck der Detention, also zum Gewahrsam, geplante Haus ist die nördliche der beiden Ostertorwachen und eines der symbolträchtigsten Stücke Architektur in Bremen. In der nächsten Woche wird das Gebäude als Design-Zentrum und Museum sowie als Gedenkstätte öffentlich zugänglich gemacht. Trotzdem oder gerade deshalb erregt es immer noch Anstoß (siehe Gastkommentar). Symbole wie dieses verlieren eben ihre Kraft nicht.
In der Erinnerung ihrer Überlebenden ist die Ostertorwache vor allem ein Ort des Leids. Bis 1996 warteten hinter der durch Farbbeutel bunt gescheckten Fassade abgelehnte Asylsuchende auf ihre Abschiebung. Zwischen 1933 und 1945 machte die Gestapo das Gebäude zu einem „Vorhof zur Hölle“– Kommunisten wie Georg „Schorse“Gumpert oder Hans Meier und viele andere wurden hier eingesperrt und gequält. Dabei war die Wache ein Jahrhundert zuvor zu einem ganz anderen Zweck gebaut worden: Die Haftbedingungen sollten menschlicher werden.
Tarnung als Tugend
Zum Zustand Bremer Gefängnisse fielen dem Präsidenten d'Arberg, der als Statthalter Napoleons zwischen 1810 und 1813 die Hansestadt regierte, nur drei Worte ein: Als „Monumente barbarischer Jahrhunderte“bezeichnete er die Verliese in den Befestigungsanlagen am Wall. Die Bremer Obrigkeit hatte sich indes schon 1802 vorgenommen, die Stadtbefestigung rund um das heutige Zentrum in einen Park umzugestalten und wollte dabei auch die lichtlosen Mauer- und Turmkerker, in denen man nicht mal stehen konnte, durch einen Gefängnisneubau ersetzen. Allerdings wurde dieses Projekt immer wieder vertagt. Vermutlich erst 1821 beauftragte der Senat den Architekten und späteren Stadtbaudirektor Friedrich Moritz Stamm mit der Planung der Wache. Er entwarf ein Gebäudepaar mit einem Zollhäuschen (dem heutigen Gerhard-Marcks-Haus) und der Wache mit angeschlossenem Gefängnis. Aus Lottomitteln (!) wurde das Ensemble mit seinen klassizistischen, deutlich von Schinkel beeinflußten Fassaden finanziert und zwischen 1826 und 1828 am Ostertor mitten im neuen Park erbaut. Wenig später wurden die ersten 20 Häftlinge verlegt. Eingesperrt wurden Untersuchungshäftlinge, Verurteilte, Bettler oder Prostituierte. Die Zahl der Gefangenen, zu denen bald auch die Giftmörderin Gesche Gottfried gehören sollte, stieg beständig an. Zeitweise war der Gewahrsam mit bis zu 200 Inhaftierten völlig überbelegt.
Mit diesem Neubau beendeten die BremerInnen barbarische Jahrhunderte. Das Überwachen und Strafen bekam eine neue Form. Bis weit über das Mittelalter hinaus waren körperliche Züchtigungen und Verweise aus der Stadt die gängigen Sanktionen. Jetzt ging man zum Wegschließen über. Und die Ostertorwache wurde dafür doppelt Symbol.
Hinter der Fassade mit den sechs Säulen und dem Medusenhaupt über dem Eingang machte der Architekt Stamm die Tarnung zur Tugend: Die vergitterten Zellenfenster wiesen sämtlich zum Innenhof. Den SpaziergängerInnen sollten der Lärm der Insassen und der Zweck des Gebäudes verborgen bleiben. Baumanpflanzungen kaschierten die Wache. Die wie die Villen an der nahen Contrescarpe weiß leuchtende Fassade des „Detentionshauses“zeugt bis heute vom Selbstbewußtsein des Bürgertums in dieser klassizistischen Epoche. Lange hat es offenbar nicht gewährt. Dies wird im Kontrast der Wache zum benachbarten Polizeihaus deutlich, das kurz nach der letzten Jahrhundertwende in einem ganz anderen, nämlich festungsänlich-wuchtigen Stil erbaut wurde.
Auf der Kulturmeile
An der Praxis des Wegschließens hat sich abgesehen von den Psychiatriereformen bis heute nichts geändert. Allein die bürgerliche Gesellschaft entfernt jetzt die verbliebenen Institutionen des Überwachens und Strafens aus der Stadtmitte und schafft sich Kulturmeilen. Bald wird das Polizeihaus – wie auch immer – umgenutzt. Schon jetzt ist neben der südlichen auch die nördliche Ostertorwache Museum.
Nachts inszenieren nun Strahler auch die rückseitige Fassade. Denn für 4,5 Millionen Mark aus Mitteln der Waldemar-Koch-Stiftung und nach Entwüfen von Heiner und Katja Klausing wurde das „Detentionshaus“aufsehenerregend umgebaut. Eine Entkernung im vorderen Gebäudeteil erbrachte auf zwei Etagen Ausstellungsräume mit einer Fläche von 350 Quadratmetern, auf der künftig der Nachlaß des in Bremen geborenen (Bauhaus-) Designers Wilhelm Wagenfeld (1900-1990) gezeigt wird und der seine NachfolgerInnen in Symposien zu neuen Einfällen inspirieren soll (Bericht folgt). Schon vordergründig ist das Gebäude Denkanstoß: Der helle Steinfußboden, der durch große Fenster geöffnete Blick zum Hof und eine bis in die Gestaltung der Toiletten sprudelnde Architekten-Phantasie machen den „Vorhof zur Hölle“der Nazi-Zeit auch innen zu einem Ort des Schönen. Davon ausgenommen ist der östliche Seitenflügel. Hier sind sechs Zellen in unverändertem Zustand als Gedenkstätte erhalten. Das ist Manchen zu wenig – räumlich oder konzeptionell.
Zur Zeit wird in Berlin über Kunst im Reichstag sowie vor allem über die Gestaltung des Holocaust-Mahnmals gestritten. Die Debatten kreisen um das Design des Erinnerns. Von einem Bremer Symposium zu diesem Thema, das sich zur Eröffnung des Wagenfeld-Hauses anböte, ist dem Unterzeichnenden nichts bekannt.
Christoph Köster
Viele Informationen über die Geschichte des Hauses sowie die Fotos sind dem Buch „Die weiße Wache“von Dieter Bartetzko, Dieter Fricke, Rüdiger Lubricht u.a. (Hrsg.) entnommen. Es ist im Verlag Aschenbeck & Holstein erschienen und kostet 42 Mark
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