: Ein Prellbock für Wissmann
Die Verkehrsminister von Bund und Ländern streiten über Zuschüsse für den Schienenverkehr. Unabhängig davon geht der Streckenschwund vor allem im Osten weiter ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann saß gestern in Magdeburg seinen 16 Landeskollegen gegenüber. Auf der Tagesordnung stand die künftige Finanzierung des Nahverkehrs auf der Schiene. Doch die Minister konnten bis Redaktionsschluß zu keiner Einigung über die Millionen kommen. Wissmann will in den kommenden vier Jahren 725 Millionen Mark weniger an die Länder überweisen als nach bisherigem Usus. (taz vom 11. Februar). Er beruft sich dabei auf das Bahngesetz, das 1998 eine Überprüfung des Geldstroms aus Bonn in die Landeshauptstädte vorschreibt: Die im vergangenen Jahr gefahrenen Zugkilometer sollen mit denen aus den Jahren 1993/94 verglichen werden. Wissmanns Schlußfolgerung: Weil die Länder heute mehr Züge fahren lassen als vor vier Jahren, kann er die finanzielle Unterstützung von gegenwärtig 12 Milliarden Mark zurückschrauben. Bestraft würden damit vor allem vorbildliche Länder wie Bayern und Rheinland-Pfalz, die erheblich weniger Geld aus Bonn bekommen sollen als bisher.
Doch Wissmanns Gesetzesinterpretation ist umstritten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat beim Institut für Umweltrecht eine juristische Expertise in Auftrag gegeben. Die kommt zu dem Schluß, daß lediglich der Verteilungsschlüssel überarbeitet werden muß. Wissmann sei mit seiner Absicht, den Gesamtbetrag zu reduzieren, auf dem falschen Gleis: „In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird diese Ansicht nicht geteilt.“
Außerdem sitzt Wissmann am kürzeren Hebel: Denn ohne Zustimmung der Länder gelten die alten Regeln fort.
Bayern und Niedersachsen unterbreiteten ihren Länderkollegen bereits am Donnerstag einen anderen Vorschlag. Der sieht vor, daß in den kommenden vier Jahren die Gesamtsumme von 12 Milliarden Mark plus Umsatzsteuerwachstum gleich bleibt. Zwar würden mehrere Länder auch dann weniger Geld bekommen als bisher – schließlich soll die Gesamtsumme anders verteilt werden. Bayern zum Beispiel erhält gegenwärtig 1.260 Millionen Mark vom Bund und würde künftig nur noch 1.148 Millionen bekommen. Doch damit könnten die Bayern leben: Zum einen ist das mehr als nach Wissmanns Kürzungsvorschlag, und zum zweiten schrumpft dieser Betrag nicht von Jahr zu Jahr.
Profitieren von einer Neuverteilung werden die ostdeutschen Länder. Sachsen bekommt dem Umverteilungsvorschlag aus Hannover und München zufolge über 110 Millionen Mark mehr als bisher. Doch gerade die neuen Bundesländer sind in puncto Schienenverkehr keineswegs auf der Erweiterungsspur. Allein im vergangenen halben Jahr wurden dort 13 Strecken mit einer Gesamtlänge von 125 Kilometern stillgelegt.
Auch in Nordrhein-Westfalen ging der Schienenabbau weiter: Auf 46 Kilometern findet seit neuestem kein Zugverkehr mehr statt, meldet das Eisenbahnbundesamt. Und die niedersächsische Strecke zwischen Spelle und Quakenbrück, die immerhin 50 Kilometer lang ist, wurde ebenfalls geschlossen.
Formal läuft das Ende einer Trasse so ab: Die Bahn AG behauptet, eine Strecke nicht mehr wirtschaftlich betreiben zu können und bietet sie dem Land oder anderen Interessierten an. Findet sich niemand, so wird der Gleisweg durchs Eisenbahnbundesamt entwidmet. Bahnchef Karl-Heinz Ludewig hat zwar vor kurzem in Berlin versichert, daß die Immobilien zunächst nicht verkauft oder bebaut werden sollen, um die Option einer Wiederinbetriebnahme zu haben. „Doch diese Zusage ist wachsweich. Längerfristig hat sich Ludewig nicht festgelegt“, kritisiert der bündnisgrüne Parlamentarier Ali Schmidt.
Bei der Erweiterung des Schienennetzes sieht es nicht sehr ermutigend aus. 1997 wurden in der gesamten Republik gerade einmal vier Streckenabschnitte – 36 Kilometer – neu in Betrieb genommen. 46 Kilometer konnte die Bahn anderen übertragen.
Demgegenüber geht aus einer Anfrage der PDS an die Bundesregierung hervor, daß zwischen Mai 1996 und September 1997 auf 647 Kilometern der Betrieb dauerhaft eingestellt wurde.
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