: Geschäfte gegen Menschenrechte
■ Die weitere Inhaftierung Wang Dans hätte das Gipfeltreffen mit den USA belastet. Peking und Washington setzen auf Kooperation
Es klappt alles wie am Schnürchen zwischen den Supermächten des 21. Jahrhunderts. Erst bekommt Chinas Partei- und Staatschef Jiang Zemin im vergangenen Herbst einen schmeichelhaften Empfang in Washington, dann läßt er zwei Wochen später zum Dank seinen umstrittensten Gefangenen, den Dissidenten Wei Jingsheng, frei. Fünf Monate später kommen die Amerikaner den Chinesen erneut entgegen, indem sie vor der UN-Menschrechtskommission in Genf ihre Vorwürfe gegen Peking fallenlassen – und prompt erhält Chinas letzter weltbekannter politischer Gefangener seine Freiheit zurück. „Sehr erfreut“ erklärt sich darüber nun die Regierung in Washington. Man schämt sich also auch dort nicht für das medienwirksame Spiel mit Geiseln und Menschenrechten.
Doch es geht eben nicht um Wang Dan: Seine Anwesenheit hätte lediglich den geplanten Staatsbesuch von Präsident Clinton im Juni in Peking erschweren können, bei dem die Differenzen der Pazifikgiganten allenfalls noch philosophisch formuliert werden sollen, während man im harten Weltgeschäft auf den gemeinsamen Einsatz setzt: Die Asienkrise hat schließlich bewiesen, daß wenn Japan sich der politischen Verantwortung entzieht und die Tigerstaaten nicht einmal mehr brüllen können, China und Amerika allein übrigbleiben. Verunsicherungen gibt es auf allen Seiten genug. Daraus erwächst die neue Verpflichtung zum Supermachtdialog, die Jiang und Clinton für die Selbstinszenierung so zuträglich ist.
Mit welch hohem Einsatz hier die Weltpolitik neu sortiert wird, läßt schon die Größe der amerikanischen Delegation erahnen, die in Peking in acht Wochen erwartet wird: 1.200 Gäste aus allen amerikanischen Gesellschaftsbereichen – wie ein kleiner kultureller Eroberungszug wirkt das.
Unser Noch-Kanzler Helmut Kohl ahnt jedenfalls immer noch die entscheidenden Augenblicke auf der Weltbühne und hat sich zur etwa gleichen Zeit in Peking angesagt. Das gäbe dann möglicherweise einen Dreier-Gipfel: der mächtigste Amerikaner, der mächtigste Asiat und der mächtigste Europäer – ohne offensichtliche ideologische Differenzen.
Peking müßte ohnehin anderes beschäftigen als die Außenpolitik. Denn je erfolgreicher die ist, desto riskanter wird das innenpolitische Spiel. Öffnung und Reformeifer versetzen derzeit Millionen Arbeiter der Volksrepublik in die Arbeitslosigkeit. In der nordöstlichen Provinz Liaoning, wo der Dissident Wang im Gefängnis einsaß, wird heute eine Arbeitslosigkeit von annäherend zwölf Prozent von offizieller Seite eingeräumt. In Wirklichkeit sind in den alten Kohle- und Stahlrevieren längst über die Hälfte der ehemals Beschäftigten nicht nur ohne Arbeit, sondern auch ohne weitere Bezüge. Schon blüht dort das Verbrechen auf. Wangs Zelle wird nicht lange unbelegt bleiben.
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