: Was ist ökologisch korrekt?
Amerikas größte Umweltorganisation, der Sierra Club, streitet um eine Stellungnahme zur Einwanderung in die USA. Wahrscheinlich schweigt der Club ■ Aus Washington Peter Tautfest
Wachstum ist nicht alles, ja Wachstum muß der Umwelt zuliebe gebremst werden. Gilt das auch für die Bevölkerung? Genau diese Frage stellen sich zur Zeit die 75.000 Mitglieder des Sierra Clubs, der größten und ältesten Umweltorganisation der USA. Zu viele Menschen verbrauchen zuviel Umwelt. Und wie ist das in einem Land, dessen Bevölkerungswachstum zu zwei Dritteln auf Einwanderung zurückgeht? Am vergangenen Wochenende wurden die Stimmzettel zurückerwartet, eine Verlängerung der Frist bis zum 25. April gibt es für die 10.000 Mitglieder, die ihre Formulare versehentlich zu spät erhielten. Anders als die meisten Umweltorganisationen wählt der Sierra Club seine Geschäftsführung und bestimmt die Richtlinien seiner Politik per Briefwahl. Dieses Jahr steckt im 13seitigen Stimmzettel ein Blatt, das es in sich hat. Bisher war die Führung des Sierra Clubs dem heißen Eisen der Immigration ausgewichen, letztes Jahr aber sammelte ein Initiativgruppe genügend Unterschriften, um die Organisation zu einer Entscheidung zu zwingen. Der Sierra Club solle zur Frage der Einwanderung Stellung beziehen und eine Politik entwickeln, die dem Bevölkerungswachstum Einhalt gebietet. Und zwar sowohl durch Senkung der Geburtenzahlen – da wären sich ja noch alle einig gewesen – als auch durch Senkung des Einwanderungssaldos. Diese Position steht als Alternative A auf dem Stimmzettel.
Die Gegenposition B verlangt, daß der Club bei seiner alten Neutralität in dieser Frage bleibt. Die „Neutralen“ aber sind alles andere als neutral, sie attackieren die Initiative heftig und zeihen sie unter anderem des Rassismus, denn heute kommt die Einwanderung in erster Linie aus Afrika, Lateinamerika, Asien und der Karibik.
Die USA hat heute 260 Millionen Einwohner und wie alle entwickelten Industrieländer langfristig ein negatives Bevölkerungswachstum. Ohne Einwanderung würde die Bevölkerungszahl bis zum Jahre 2050 auf unter 250 Millionen sinken. Durch Einwanderung aber und durch die Kinder der Einwanderer wird die Bevölkerung auf fast eine halbe Milliarde steigen. Das führt zu einem dramatischen Anstieg der Belastung natürlicher Ressourcen sowie zu einer unerträglichen Steigerung des Ausstoßes von Abfällen und Abgasen, sagen die Anhänger der Alternative A. Wo die Menschen leben, ist ganz egal, sagen ihre Widerstreiter. Im Zeitalter der Globalisierung machen weder Ressourcennutzung noch Abgase an den Grenzen halt, wieso sollten es Menschen tun? Man müsse das Problem an der Wurzel packen, statt das Erste-Klasse-Abteil des Raumschiffs Erde zu verrammeln.
Einwanderung bedeutet mehr Energieverbrauch
Nein, antworten die Gegner der Einwanderung, es ist nicht egal, wo die Menschen auf dieser Erde wohnen. In Europa zum Beispiel produziert man eine Einheit BIP mit einem Drittel des Energieaufwands, der in den USA dafür nötig ist. Für Afrika ist das Verhältnis noch ungünstiger. Mehr afrikanische Einwanderer nach Amerika bedeuten also mehr Produktion mit amerikanischer Energie- und Ressourcenverschwendung. Eben, sagen dazu wieder die Gegner eines Einwanderungsstopps, genau deshalb müssen Amerikaner ihren Energieverbrauch senken, darauf sollte sich der Sierra Club konzentrieren, statt anderen Leuten den Zutritt zu verwehren. Gute Idee, sagen die A-ler, wenn ihr B-ler dabei Fortschritte gemacht habt, den American Way of life zu ändern, sagt uns Bescheid, dann hören wir auf, für Einwanderungsbeschränkungen zu plädieren.
Einwanderer in die USA fliehen immer häufiger Verhältnisse, in denen Raubbau und Bevölkerungsdruck den Menschen die natürliche Basis entzogen haben. Solange Länder wie Mexiko und Guatemala wissen, daß die USA ein Ventil für Umweltflüchtlinge sind, werden sie nichts zur Erhaltung der Umwelt und zur Senkung der Geburtenrate tun, argumentieren die Befürworter strikterer Einwanderungskontrollen. Die USA aber sind es, die durch Ressourcenklau und Produktionsverlagerung in Regionen mit niedrigen Umweltstandards eben diese Umweltflucht auslösen.
Nicht gegen Einwanderer, sondern gegen ungebremste Einwanderung sind die Befürworter von Alternative A. Sie wissen sich dabei in Übereinstimmung mit 85 Prozent der Bevölkerung, die unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft mehrheitlich für eine Regelung der Einwanderung sind. Auf ihrer Seite stehen große Namen der Geschichte des Clubs, als da sind Lester Brown, Dave Foreman oder Paul Watson. Die Befürworter der Alternative B aber fürchten, daß der Sierra Club mit einer einwanderungsfeindlichen Plattform just jene Schichten verprellen würde, die für eine wirkungsvollere Umweltpolitik gebraucht werden, die Hispanics nämlich und die schwarze Bevölkerung, die bisher kaum Interesse an Kampagnen gegen Umweltzerstörung gezeigt haben.
Die Gegner der Initiative werden wahrscheinlich die Wahl gewinnen. Nicht ein einziger der 64 Ortsverbände hat sich bisher auf die Seite der A-Alternativler gestellt, 27 aber ausdrücklich gegen Immigrationssperre votiert. Der gesamte Vorstand ist gegen eine Stellungnahme zur Einwanderung.
Für den emotionalen Charakter der Debatte macht der Sozialökologe und Autor des Buchs „Die Ökologie der Freiheit“, Murray Bookchin, das affektive Verhältnis der Amerikaner zur Wildnis verantwortlich, das Natur und Gesellschaft als feindliche Pole begreift. Daß die naturnahen Lebensräume durch Suburbanisierung von der Mittelklasse und nicht von den Einwanderern besetzt werden, das verdrängen sie gern.
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