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Ein kühler Blonder aus dem tiefen Süden

Äußerlich wirkt Edmund Stoiber so gar nicht, wie sich die Republik seit Franz Josef Strauß einen bayerischen Ministerpräsidenten vorstellt – doch Konflikte mit der CDU heizt er genauso clever an  ■ Aus München Stefan Kuzmany

Die Formulierung war etwas holprig, aber sie paßte ganz gut in die alkoholgeschwängerte Atmosphäre des politischen Aschermittwochs in der Passauer Nibelungenhalle. Begeistert schwenkte der trachtengewandete CSU-Anhänger sein Pappschild, damit es die ganz vorne sehen, und möglichst auch die vom Fernsehen: „Nächster Kanzler muß CSU sein!“.

Nun läßt die CSU zwar gerne und in regelmäßigen Abständen verlauten, daß auch sie hervorragend qualifiziertes Personal für das Amt des Bundeskanzlers aufzubieten habe. Die jüngste Personaldebatte um Kohls Kronprinzen, den Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble von der CDU, ist in dieser langen Reihe der eigenwilligen bayerischen Äußerungen jedoch nicht nur eine weitere Spitze in Richtung Bonn. Es könnte die letzte Chance der Christsozialen sein, sich in die große Politik einzumischen, bevor sie nach der Bundestagswahl in die Bedeutungslosigkeit der bayerischen Landespolitik abdriften.

Seit dem Hinscheiden von Franz Josef Strauß vor knapp zehn Jahren gab es in der Union niemanden mehr, der dem ewigen Kanzler Kohl die Führungsrolle hätte streitig machen können. Aber Kohl ist müde. Und die CSU hat wieder einen, der sich, ähnlich wie FJS, durch provokante Äußerungen im öffentlichen Bewußtsein hält, einen, der sich gerne darauf beruft, daß Helmut Kohl ihm gegenüber kein Weisungsrecht habe. Edmund Stoiber – ein Nachfolger Kohls? Für die Bayern nicht undenkbar.

„Franz Josef Strauß ist mein Programm“, hieß das seinerzeit. Und ganz in der Tradition seines großen Vorbildes hat Stoiber um sich eine gut geschmierte Machtmaschine aufgebaut. Wie er selbst im Wahlkampf für Strauß und in dessen Auftrag gnadenlos populistisch die politischen Gegner zu einem klebrigen Feindbrei aus Kommunisten, Jusos und „Sozen“ verrührt hat, schickt der Herrscher der bayerischen Staatskanzlei heute seine eigenen Männer fürs Grobe in die Bresche. Vom „Wadlbeißer“ unter Strauß ist er zur blonden Eminenz avanciert. Harte Verbalinjurien gegen die Freunde von der CDU läßt Stoiber über seine Paladine durchsickern, so wie jüngst im Fall des Staatssekretärs Hans Spitzner, der Wolfgang Schäuble attestierte, er sei „von allen guten Geistern verlassen“. Wenn Stoiber die Leine zu lang wird, zieht er seine treuen Vorprescher wieder zurück: Es reicht eine lapidare und ziemlich späte Erklärung des Ministerpräsidenten, Personaldebatten seien zur Zeit nicht angebracht, und die Partei schweiget stille.

Zwei Schritte zurück, drei nach vorn: „Wir streben keinen europäischen Bundesstaat mehr an“, ließ Stoiber im November 1993 verlauten – nur um drei Tage später die heftige Kritik aus den eigenen Reihen zu dementieren: „Es ist mir unverständlich, daß solche Mißinterpretationen stattfinden.“ Da kann Klaus Kinkel (FDP) zum hundertsten Male über den ungeliebten Koalitionspartner seufzen, die CSU kritisiere überzogen – „inhaltlich und vor allem im Ton“ –, für die CSU ist und bleibt die FDP ein verhaßter Koalitionspartner: Im Bund sei sie willkommen, in Bayern brauche sie kein Mensch. Und kurzerhand erklärt Stoiber Kinkels Europa- zur Innenpolitik und damit zu seiner Sache. Hart ließ sich Stoiber seine formal ziemlich unwichtige Zustimmung zum Euro abringen, persönlich überbrachte er die frohe Botschaft dem EU-Ratspräsidenten Jacques Santer nach Brüssel – nicht ohne noch einmal die ganz eigenen Bedenken anzubringen.

In jüngster Zeit steigt Stoiber gelegentlich auch von der Bühne der hohen Politik herab. Steif grüßte das Ehepaar Stoiber noch von den Wahlplakaten der letzten Landtagswahl – Stoiber, ein blasser Asket, dem man im Gegensatz zum Übervater Strauß die Rolle des Landesvaters, des glaubwürdigen Genußmenschen nie wirklich abkaufen wollte. Für Bayern hat das ausgereicht. Hier würden die Menschen auch CSU wählen, wenn der Spitzenkandidat ihrer Lieblingspartei ein Kühlschrank aus bayerischer Produktion wäre. Aber außerhalb des Freistaates wird dem Arbeitstier Stoiber zwar allseits große Sachkompetenz unterstellt – eine Integrationsfigur war er jedoch nie. Jetzt schüttete der Mann, dem Vertraute nachsagen, länger als 45 Sekunden könne er nicht privaten Small talk führen, dem SZ-Magazin sein Herz aus. Stoiber privat erzählt seitenweise über die ersten Schritte seiner Tochter, über die Schwierigkeit, Politik und Privates zu vereinbaren, über seine nie ganz abgerissene Freundschaft zu Schulkameraden. Da will sich wohl einer wählbar machen.

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