: Musikschule der dritten Art
■ Pitchen, faden, mixen, scratchen - Lärmskulpturen zwischen Kochstunde und Sendung mit der Maus: Die DJ-Academy bietet Plattenauflegern die Möglichkeit, ihre Skills zu verbessern
Die Atmosphäre wirkt ein wenig wie bei Bioleks Kochstunde. Auf dem Podest hinter den Plattenspielern stehen die beiden, reden, während sie Platten auflegen, und legen Platten auf, während sie reden. Donna Summer: I feel love. John Acquaviva erzählt aus seinem Leben, das ein Spiegelbild der neueren Geschichte der E-Musik ist. Er erzählt von den Anfängen, von Disco, von der Entwicklung hin zu House. Spielerisch wirkt es, fast nebenbei sind sie mit den Schülern bei Techno angelangt. Sascha Lazimbat legt „Los Niños del Plaque“ auf.
John Acquaviva ist Techno-Pionier aus Ontario. Sein Gegenüber ist Anwalt aus Berlin. Sie sind zwei der sechzig Dozenten an der Berliner DJ-Akademie. Und sie verkörpern das Konzept der Schule. Nachwuchs-DJs sollen von den besten ihres Fachs lernen. Sollen einerseits ihre musikalische Praxis weiterentwickeln, sollen andererseits auch Theoretisches mitnehmen. Nachhilfe bei Star-DJs, genauso wie Vorträge über Business, Recht und Promotion. „Damit auch beim Geschäftlichen der Spaß nicht vergeht“, wie Sascha Lazimbat sagt.
„Die Akademie soll eine Institution der Popkultur werden.“ Der Anspruch, den der 24jährige Schulleiter Many Ameri an das Projekt stellt, ist hoch. Etwas Ähnliches gebe es noch nicht. Nicht in Deutschland, nicht in Europa, nicht in den Staaten. Kein brancheninterner Tauschverein für Visitenkarten soll die Akademie sein, sondern ein Ort für den Austausch von Wissen, Können und Ideen. Unterstützt wird das Projekt vom Turntable-Fabrikanten Technics und dem Kommerz-Dance-Radio Kiss FM, Hauptsponsor ist Red Bull, weshalb die Energy-Drinks auch überall in der Gegend stehen. Doch für die Veranstalter dreht sich alles um Plattenspieler und Mischpult, nicht um die Promo. Beheimatet ist die Akademie in einem Hinterhof in Berlin-Friedrichshain. Die drei Stockwerke des Hauses werden belagert vom DJ- Nachwuchs.
Achthundert Bewerbungen aus ganz Deutschland sind eingegangen, 46 Teilnehmer wurden ausgewählt. Aufgeteilt sind sie in zwei Workshops. Dauer der Ausbildung: zwei Wochen. „Wir wollten keine Fachidioten“, sagt Many. Typen habe man gesucht, die nicht nur X-Ecutioners, sondern auch Hegel buchstabieren können. Musikalisch offen sollten sie sein, einen breiten Horizont haben, nicht fixiert sein auf einen Stil, fähig sein, voneinander zu lernen.
So schlendern die beiden Schüler durch das Auditorium, der Techno- und der HipHop-DJ, und reden über Mixes und Übergänge. Sie lassen sich in die Chippendale- Sofas fallen, knipsen die Stehlampen an; die mit Stoff verhängten Wände hüllen den Raum in ein wohnliches Dunkel. Club-Atmosphäre.
Wie bei der Sendung mit der Maus kommen die Stunden daher, wenn Schülerin Bianca (27) aus Hamburg ihr Arbeitsgerät, den 1210er, auseinanderbaut und mal ins Innere blickt; wenn sie einen „Vinyl Touch“ einbaut, um pitchen zu können, ohne daß sich die Tonhöhe ändert; oder wenn ihr Studiotechniker Robert Feuchtl zeigt, wie man mit einem PC Musik machen kann. Und wenn sich der Nachwuchs dann in die Studios zurückzieht, um unter Anleitung des Dozenten das zu üben, was sie gerade gelernt haben, dann wird klar: Sie sind längst keine Anfänger mehr.
4-Deck-Mixen: ein Tisch, vier DJ-Schüler, vier Plattenspieler. Sie stehen sich gegenüber, jeder zerlegt den Song in seine Einzelteile, sie wirbeln mit den Fadern, legen Mixes über die Bassline, lassen die Platten rückwärtslaufen, scratchen, werfen ihre Versatzstücke zusammen und kreieren daraus eine völlig neue Lärmskulptur.
Übten sich die Eltern in der Musikschule noch im Spielen der Blockflöte und im Drücken der Akkordeontasten, fühlen sich die Kinder zu anderem berufen. Der Plattenspieler ist das Instrument ihrer Zeit. DJing hat die Nische des Underground längst verlassen. Längst ist es Massenphänomen geworden. Die Geräte sind billiger, die Qualität ist höher als noch vor zehn Jahren. Doch die Szene ist auch komplexer geworden – und chaotischer. Hier hakt die Akademie ein – und ist doch keine Akademie im eigentlichen Sinne. Die Schüler erhalten kein Diplom. Nur ein Mehr an Erfahrung hoffen sie mitzunehmen. Mitgenommen habe sie einiges, sagt Bianca. „Natürlich habe ich meine Technik verbessert. Aber besonders die Aufklärung über Verträge, Rechtsfragen und die Sachen mit der GEMA waren mir völlig neu“, fügt sie an. Auch die Tips, wie man ein Demo-Tape als Visitenkarte gestaltet, werde sie in Zukunft beherzigen. Dozent King Britt hatte sie gegeben.
Ob Star-DJ, Anwalt oder Musikjournalist – alle erhalten das gleiche Gehalt. Die Dozenten sollten nicht eingekauft werden, sie sollten kommen, um zu lehren, sie sollten gerne kommen. „Ich bin froh, daß die Veranstalter an mich gedacht haben“, sagt denn auch John Acquaviva. Es sei auch für ihn eine neue Erfahrung gewesen. Doch der Trip von Übersee nach Berlin lohnt sich für die DJs auch finanziell. Um sie sind richtiggehend kleine Touren entstanden. Keith Tucker zum Beispiel. Anfang Mai kommt er an die Akademie. Zum zweiten Mal ist er überhaupt erst in Europa. Er nutzt die Chance für nächtliche Auftritte in Berlin, München, Zürich und Paris.
Unterrichten lasse man bewußt tagsüber. Sowohl Dozenten als auch Schüler seien einfach anders drauf. „Wir sind schließlich kein Raver-Verein“, sagt Many. Und wenn sich DJ King Britt und Technik-Dozent C-Rock etwas zerknautscht auf dem „Promi-Sofa“ des Auditoriums lümmeln und über die Produktion eigener Tracks erzählen, glaubt man dem Schulleiter. Nicht wie das blühende Techno-Leben kommen sie dann rüber, sondern eher bedächtig. Ein wenig wie Wum und Wendelin wirken die beiden dann. Peter Kasza
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