Dankbarkeit für ein bißchen Solidarität

Für die Araber Israels ist der Tag der Staatsgründung ein Datum der Niederlage und deshalb kein Grund zu feiern. Sie erinnern daran, daß Hunderttausende ihrer Angehörigen an diesem Tag fliehen mußten oder vertrieben wurden. Und von den Israelis verlangen sie wenigstens etwas Verständnis für ihre Sicht der historischen Ereignisse Von Georg Baltissen

Der kleine Handwerksbetrieb stellt Metallformen her, die dann mit Plastikmasse ausgegossen werden, beispielsweise Plastiktassen, die nach Jordanien und Saudi-Arabien ausgeführt werden. Vier Arbeiter beschäftigt der 54jährige Mohammed, voller Stolz führt er den Besucher herum. Nicht der Betrieb selbst, sondern sein Standort ist das Besondere. Er liegt mitten in der Shallalah- Straße in Hebron, einem der heißesten Gefechtspunkte im israelisch-palästinensischen Konflikt. Mohammed ist Augenzeuge, wann immer palästinensische Jugendliche sich eine Straßenschlacht mit israelischen Soldaten liefern. Die Shallalah- Straße ist anschließend übersät mit Steinen, Tränengasgranaten und den gummiummantelten Stahlgeschossen, die so tiefe, manchmal tödliche Verletzungen verursachen.

Die Straße gehört zum sogenannten Bezirk H2, dem israelisch kontrollierten Teil Hebrons. „Wir leben praktisch noch unter Besatzung“, sagt Mohammed. „Die Teilung der Stadt ist ein Unding. Die Siedler führen sich hier auf, als ob die Stadt ihnen gehören würde.“ Mohammed vermeidet es grundsätzlich, mit den Siedlern oder den Soldaten ein Wort zu wechseln. „Sie machen unser Leben hier zur Hölle, zerstechen die Reifen unserer Autos, werfen Fensterscheiben ein und haben auch noch die Unterstützung der Regierung“, sagt er. „Die Soldaten sind herrisch, manchmal brutal“, meint er. – Die einzigen Israelis, mit denen die Menschen im Westjordanland regelmäßig in Kontakt kommen, sind Soldaten oder Grenzpolizisten. Da herrscht offene oder versteckte Feindschaft. Wer das Sagen hat, steht allerdings nicht in Frage.

Im palästinensischen Dorf Kaddum bei Nablus haben sich an diesem heißen Frühlingssamstag ganz andere Israelis eingefunden. Mit Bussen und Privatwagen sind sie aus Tel Aviv und Jerusalem gekommen: Mitglieder von Gush Shalom, dem Friedensblock, von Peace Now oder dem Alternativen Informationszentrum in Jerusalem. Gemeinsam mit dem Muchtar, einer Art Bürgermeister, und einer Reihe von Dorfbewohnern protestieren sie gegen die Bulldozer, mit denen die Siedler ein Stück Land des hügeligen Dorfes planiert haben. Land, das selbst nach Angaben der israelischen Regierung palästinensischer Privatbesitz ist. Das Verhältnis ist herzlich. Der Bürgermeister umarmt Uri Avneri, dessen schlohweißes Haar aus der Menge hervorsticht. Die Demonstranten werden im Bürgerhaus mit Cola und Fanta bewirtet. Man spricht sich gegenseitig Mut zu. Eine ältere Israelin überreicht einer Palästinenserin einen Blumenstrauß, den sie auf den Feldern gepflückt hat. Palästinensische Kinder bestaunen ein Fiat- Cabrio mit israelischem Kennzeichen. Eine fast surreale israelisch-palästinensische Idylle. Und während die Friedensaktivisten mit einem Gefühl moralischer Zufriedenheit die Rückreise antreten, bleiben die Palästinenser allein zurück, gefangen in einer Mischung aus Hoffnungslosigkeit und aller Erfahrung widersprechenden Erwartungshaltung. Den Kampf mit den Siedlern müssen sie jetzt allein austragen. Und dennoch: Die Dankbarkeit des Bürgermeisters für die israelische Unterstützung ist keinesfalls gespielt.

Nach einer repräsentativen Umfrage, die Ende vergangenen Jahres gemeinsam vom Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrum sowie dem Tami Steinmetz Zentrum für Friedensforschung an der Universität Tel Aviv durchgeführt wurde, glauben 65 Prozent der Palästinenser und 77 Prozent der Israelis, daß die Beziehungen zwischen beiden Völkern auf allen Ebenen intensiviert werden sollten, um die Friedensaussichten zu unterstützen. Allerdings sagen nur 47 Prozent der Palästinenser, daß die Israelis wirklich Frieden wollen. Auf israelischer Seite sagen dagegen fast 53 Prozent, daß die Palästinenser Frieden wirklich wollen. Beide Seiten sind sich einig, daß zwischen Israel und Palästina eine klar definierte Grenze gezogen werden sollte, die die Völker voneinander abgrenzt. Während 74 Prozent der Israelis nichts dagegen hätten, einen Palästinenser zum persönlichen Freund zu haben, wollen dies auf palästinensischer Seite nur 51 Prozent. 47 Prozent der Palästinenser lehnen eine Freundschaft mit Israelis sogar explizit ab. Auf israelischer Seite tun dies nur 23 Prozent. Nur ein gutes Fünftel der Palästinenser, aber immerhin ein Drittel der Israelis haben laut Umfrage persönliche oder geschäftliche Beziehungen mit der jeweils anderen Seite. 53 Prozent der Palästinenser und mehr als 70 Prozent der Israelis bezeichneten diese Kontakte als gut und angenehm. Die Asymmetrie in den Situationen beider Völker und ihre voneinander abweichenden Meinungen und Beurteilungen können nicht verdecken, daß im Grunde beide Seiten den Frieden miteinander suchen und wollen.

55.000 palästinensische Arbeiter dürfen inzwischen wieder in Israel arbeiten. Vor dem Oslo-Abkommen lag die Zahl bei 140.000. Einer von ihnen ist Youssif. Gegen 18 Uhr kehrt er mit Tausenden anderen in den Gaza-Streifen zurück. Ein Stück des Weges führt durch eine Plexiglas-Gasse, in der die Arbeiter mit ihrer Magnetkarte die automatische Sperre durchqueren. Anschließend geht es ein paar hundert Meter hinter einem Holzverhau durchs Niemandsland. Ein Geräusch wie von einem Vogelschwarm dringt aus dem Holzverhau. Tausende Stimmen reden durcheinander und machen jedes Wort unkenntlich. Sechs Köpfe zählt die Familie von Youssif im Flüchtlingslager Jabaliya. Der 29jährige ist Bauarbeiter und bringt knapp 150 Schekel, umgerechnet etwa 75 Mark, am Tag mit nach Hause. Damit gehört er zu den Privilegierten im Gaza-Streifen. „Ich mache meine Arbeit gut. Probleme mit dem Chef habe ich nicht“, sagt Yussif. Und verschwindet im bereitstehenden Sammeltaxi, das ihn für zwei Schekel nach Jabaliya bringt. Am nächsten Morgen um fünf Uhr früh wird er sich wieder auf den Weg machen.

Albert ist Neurochirurg. Studium und Facharztausbildung hat er in Deutschland absolviert. Aber in Israel wird er als Facharzt nicht anerkannt. Sechs Monate hat er gerade in einem israelischen Krankenhaus gearbeitet, um die Anerkennung nachträglich zu erhalten. „Wenn du nicht Hebräisch sprichst, bist du für sie ein Idiot“, sagt Albert. Private Einladungen hat der Palästinenser, der mit einer Deutschen verheiratet ist, von Israelis nicht erhalten. „Nur einmal eine Einladung zu einem Kongreß“, sagt er. „Normalerweise zeigen sie dir die kalte Schulter, maximal zurückhaltende Freundlichkeit, und das auch nur, wenn du besser Englisch sprichst als sie.“ Besseren Kontakt hat Albert, der im palästinensischen Makassed-Krankenhaus arbeitet und noch eine eigene Praxis betreibt, nur zu einem orientalischen Juden. „Der will jetzt Arabisch lernen“, sagt Albert, „weil er meint, es sind Araber, mit denen er zurechtkommen muß, nicht Russen oder Amerikaner.“

Auch fünfzig Jahre nach der nakba, der palästinensischen Katastrophe, sind viele Wunden offen. Mohammed Ali Taha, einer der angesehensten palästinensischen Dichter in Israel, dessen Werke auch ins Englische, Französische, Spanische und Deutsche übertragen wurden, gehört einem Komitee an, das Ausstellungen, Seminare und andere Veranstaltungen organisiert, darunter eine Tour zu einigen der 400 palästinensischen Dörfer, die im Krieg von 1948/49 zerstört wurden. Taha selbst hat gerade ein Buch fertiggestellt mit dem Titel „Der letzte Tag“, das eben die letzten Stunden dieser 400 arabischen Dörfer beschreibt. Taha verlangt, daß die Israelis wenigstens Verständnis dafür aufbringen, welch große Tragödie die Gründung Israels für die Palästinenser darstellte. Taha, der sich selbst – in dieser Reihenfolge – als Araber, Palästinenser und Israeli beschreibt, erinnert daran, daß die Araber Israels vor 1967 mit Waffengewalt dazu gezwungen wurden, am israelischen Unabhängigkeitstag in den Straßen zu tanzen. Israel könnte doch, sagt er, als Zeichen des guten Willens, am 50. Jahrestag der Unabhängigkeit wenigstens ein paar tausend palästinensischen Flüchtlingen die Heimkehr erlauben. Dann hätten auch die Palästinenser in Israel einen Grund zu feiern.