Geil für Mielke und westliche Moneten

Uta Falks Recherche zur Prostitution in der DDR in „VEB Bordell“ läßt die Auftragsarbeit der Huren für das MfS relativ unterbelichtet. Wichtig ist das Buch als Beitrag zur Mentalitätsgeschichte, weil es einen der wenigen Freiräume in der DDR ausleuchtet – den Sex  ■ Von Udo Scheer

Es kam selten vor, daß sie es zu toll getrieben. Die „flotte Moni“, eine attraktive Sachbearbeiterin in Karl-Marx-Stadt, lockten wie viele andere in der DDR der Traum von der weiten Welt und der Luxus. Ihre Leidenschaft für die Exotik westlicher Männer rief die Volkspolizei auf den Plan, genauer, deren Stasi-Abteilung K1. Die stellte geplante Republikflucht durch Schleusung fest und übergab den Vorgang dem MfS.

Ob die Staatssicherheit das Nummerngirl als Lockvogel zur Aushebung einer „feindlichen Menschenhändlerbande“ benutzte, ist Uta Falks Geschichte der Prostitution in der DDR nicht zu entnehmen. Die Autorin und Soziologin geht in „VEB Bordell“ zwar auf „Die Vernunftehe zwischen Prostitution und Staatssicherheit“ ein, stützt sich für die siebziger und achtziger Jahre jedoch überwiegend auf Presseveröffentlichungen und Gespräche mit Prostituierten, Barkeepern, Taxifahrern ..., ohne Akten und Dokumente heranzuziehen. So entwirft sie ein aufschlußreiches, teilweise voyeuristisches Panorama der Prostitution für Devisen. Die geheimdienstliche Dimension des Gewerbes ist mit dieser Methode nicht auszuloten. Sie ist jedoch ahnbar, wenn ein Ex- Stasi-Mitarbeiter zitiert wird, dem zufolge 95 Prozent der HwG- Personen (Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr) zugleich für sein „Organ“ arbeiteten.

Angesichts der 1968 erfolgten Erhebung der Prostitution zum Straftatbestand (§249, bis fünf Jahre Haft) hatten die Herren von der geheimen Front auch bei der „flotten Moni“ leichtes Spiel, sie sich „auf Basis von Wiedergutmachung“ dienstbar zu machen. Fortan empfing sie als IM „Petra Meyer“ westliche Diplomaten und Geschäftsleute. Im Land der Trabis und Wartburgs fuhr sie Mercedes: „Manchmal habe ich 5.000 Mark West pro Auftrag verdient und danach 1:12 getauscht.“ Das entsprach fünf Jahresgehältern eines Lehrers. Der Sex mit ihrem Führungsoffizier ging dann eine Nummer zu weit. Ihre IM-Akte weist Dekonspiration aus – den Tabubruch. Man trennte sich einvernehmlich: „Ich konnte weiter so ausschweifend leben, wie ich wollte.“

Der geheime Dienst sammelte jede Information über den Klassenfeind und produzierte vorsorglich kompromittierendes Material. Romeo-IM umflirtete Sachbearbeiterinnen in bundesdeutschen Verwaltungen. Während der Leipziger Messe sorgten mehrere tausend „fleißige Bienchen“ aus allen Teilen der Republik für das körperliche Wohlbefinden westlicher Gäste, darunter Fremdsprachenstudentinnen. Trinkfreudige Lebedamen in der Rostocker Storchenbar verschönten devisenträchtigen Seeleuten den Landaufenthalt. Halbprofessionelle und professionelle Nutten waren in bestens präparierten Berliner Bars und Interhotels im ganzen Land zu Willen. 2.000 westdeutsche Persönlichkeiten sollen so den Herren von „Horch und Guck“ ins Netz der Geilheit gegangen sein. Unter ihnen war Heinrich Lummer, der nach seinem Aufstieg zum Innensenator in West-Berlin mit delikaten Fotos erpreßt werden sollte. Auch Uwe Barschel sei auf Orgien in Rostock gefilmt worden.

Ostfrauen galten unter Westfreiern als Geheimtip, als hingebungsvoll und sinnlich. „Gib, was du denkst“ war ein häufiger Spruch in den siebziger Jahren. 20 D-Mark, damals 1:5 schwarz getauscht, entsprachen fast dem Wochenverdienst einer Sekretärin. Sich für „Geschenke-Sex“ hinzugeben, etwa für Kosmetik und Strumpfhosen – letztere sonst für 15 bis 30 Mark der DDR erhältlich –, erschien ihnen für diesen Kitzel nicht anstößig. Anders als professionelle verzichteten die Hobbyhuren schon mal auf Kondome. Sie schafften an für heißbegehrte Luxuswaren aus dem Intershop und redeten sich ein, sie könnten jederzeit von diesem Leben lassen, schließlich waren sie berufstätig und sozial gesichert.

Fehlende religiöse Hemmungen, die seit 1972 kostenlosen Antibabypillen und die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs führten zu einem selbstbewußten Sexualverhalten, das vergleichsweise häufige Partnerwechsel und Scheidungen einschloß. Einzig die SED-Genossen waren bis Mitte der siebziger Jahre der Vorbildwirkung halber gehalten, außereheliche Beziehungen zu meiden, oder sie zahlten mit Parteistrafe und Karriereknick. Dieser Aspekt wird in „VEB Bordell“ allerdings sowenig betrachtet wie die Prostitution an Armeestandorten und in einschlägigen Nachtclubs im Lande. Ein 16-Zeilen-Abschnitt unter der reißerischen Überschrift „Vergnügungen für die oberen Zehntausend“ weist darauf hin, daß sich ein Teil der Führungselite mehrfach im Jahr in der „Kleinen Revue“ des Berliner Friedrichstadtpalastes mit Kellnerinnen und Tanzmäusen vergnügt hat.

Nach 1945 trug Prostitution in der DDR, wie Uta Falk anhand von Dokumenten und Recherchen im Gesundheitswesen und der Justiz sowie in Gesprächen, u.a. mit dem Transvestiten Charlotte von Mahlsdorf, aufzeigt, überwiegend existenzsichernde Züge. Moralische Bedenken gab es kaum, dafür drastische Gesundheitsrazzien zur Eindämmung von Geschlechtskrankheiten, mit denen rund ein Prozent der Bevölkerung infiziert war. Bereits in den fünfziger Jahren, in denen die Mehrheit der Frauen Berufen nachging, überwog die Prostitution als lockender Zusatzverdienst.

Nach groben Schätzungen sollen in den achtziger Jahren rund 3.000 professionelle Huren in der DDR gearbeitet haben (BRD 400.000). 30.000 seien nebenbei für D-Mark, Intershop-Luxus und den inzwischen irrealen Schwarzumtausch von nicht selten 1:10 dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen. Die Stasi machte den Luden und hielt die Lampe.

Da verwundert es kaum, wenn Prostituierte die DDR als „Superzeit“ und „Schlaraffenland“ in Erinnerung haben. Die Autorin folgt dieser Logik nahezu kommentarlos. Gespitzelt haben den Interviews zufolge meist die anderen.

Wer – wie der Titel „VEB Bordell“ suggeriert – schlüpfrige Sensationen über die Prostitution in der DDR erwartet, kommt kaum auf seine Kosten. Wer in dieser Reihe „Forschungen zur DDR- Geschichte“ insbesondere für die achtziger Jahre eine faktenreiche Analyse erwartet, ebenso. Statt dessen zeugt die chronologische Darstellung der Prostitution und Semiprostitution in der DDR von einem bemerkenswert selbstbewußten Sichausleben in einem der wenigen zugestandenen Freiräume – in der Sexualität.

Uta Falk: „VEB Bordell“. Ch. Links Verlag 1998, 208 S., 38 DM