: Magenweh, Angst und Herzrasen
■ Mobbing hält auch in Chefetagen Einzug. Eine ehemalige Mitarbeiterin von Schering wirft ihren Vorgesetzten "Bossing" vor. Heute will sie auf der Hauptversammlung protestieren
Die Aktionäre der Schering AG haben bei ihrer heutigen Hauptversammlung über zwei ungewöhnliche Gegenanträge zu entscheiden: Die ehemalige Mitarbeiterin Hildegard P. wird beantragen, weder den Vorstand noch den Aufsichtsrat zu entlasten. Die Begründung: „Beide wissen und dulden seit Jahren Mobbing im Betrieb. Menschen werden wie Abfall behandelt.“
Zwölf Jahre lang arbeitete P. als Diplomdokumentalistin für den Chemiekonzern. Dann sei sie „gezwungen worden, ihren Arbeitsplatz aufzugeben“. Von den Anfeindungen ihrer Chefs krank geworden, so P., habe sie abends um acht zu Hause einen Anruf bekommen: „Ausgerechnet eine Kollegin aus dem Betriebsrat teilte mir mit, sie käme am nächsten Tag mit dem Vertrag vorbei.“ P. unterschrieb. Nach mehreren Jahren in ärztlicher Behandlung beschloß sie, erneut in die Offensive zu gehen – diesmal mit Unterstützung der „Kritischen Aktionäre“. Hildegard P. sagt, sie sei nicht klassischem Mobbing, sondern „Bossing“ ausgesetzt gewesen, Attacken seitens ihrer Vorgesetzten. „Es begann mit einer Umstrukturierung, also anstehendem Personalabbau“, erzählt sie, „Ich mußte jeden Morgen zum Abteilungsleiter, mittags eine Liste abgeben, was ich geschafft hatte. Es war wie beim Militär. Mir wurden die absurdesten Vorwürfe gemacht.“ Nach ein paar Monaten hatte sie ihren ersten Nervenzusammenbruch, gefolgt von Herzrasen, Magenschmerzen, Schlafstörungen.
P.s Vorgesetzter will sich zu den Vorwürfen nicht persönlich äußern. Der Konzern weist in einer Stellungnahme die Vorwürfe als „unzutreffend“ zurück: „Die Antragstellerin hat nach Beendigung des Arbeitverhältnisses behauptet, Mobbing ausgesetzt worden zu sein.“ Dies sei in zwei Gerichtsverfahren als unbegründet zurückgewiesen worden.
Letzteres ist zutreffend und für den Chemiekonzern Schering, der auf seinen guten Ruf in Sachen Personalpolitik bedacht ist, ein Punktgewinnn. Allerdings ist „Mobbing“ – anders als in Schweden – hier kein Straftatbestand. Betroffene können lediglich versuchen, Verleumdung oder üble Nachrede nachzuweisen oder sich auf den Paragraphen 75 des Betriebsverfassungsgesetzes („Jeder muß nach Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden“) berufen. Als „schwieriges Unterfangen“ bezeichnet das Beate von Eisenhart-Rothe, Mitarbeiterin der Beratungsfirma Profile. „Man braucht minutiöse Berichte“, sagt sie, „selbst Tagebücher oder Briefe können gerichtsverwertbar sein.“ Am hilfreichsten seien Aussagen von – meist ehemaligen – Kollegen.
Immer häufiger versuchen Berliner, sich vor Gericht gegen Mobbing – laut Definition „eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und systematisch direkt oder indirekt angegriffen wird – zu wehren. Zur Zeit klagt eine Mitarbeiterin der Gasag, um zu erfahren, wer hinter ihrem Rücken über sie redet. Und der ehemalige Abteilungsleiter der Baustoffirma Kapella wirft seinem Personalleiter vor, ihn mit heißem Kaffee übergossen zu haben. Er hat Anzeige wegen Körperverletzung, Verleumdung und Sachbeschädigung erstattet. Dem Betrieb sei „jedes Mittel recht, um Personalkosten abzubauen“, so W.
Daß der sich verschärfende Kampf um Arbeitsplätze sowie der Lohnkostenfaktor neben Neid und Mißgunst ein Mobbing-Motiv ist, bestätigen auch Experten. Immer häufiger seien auch leitende Angestellte betroffen. „Vor allem über 50jährige werden torpediert“, sagt von Eisenhart-Rothe, „darunter sind viele in Führungspositionen.“ Die Erklärung ist so erschreckend wie banal: „Oft geht es um immense Abfindungen, die nicht gezahlt werden müssen, wenn jemand freiwillig geht“, so die Mobbing-Beraterin. Um die zu umgehen, würden Firmen zu wahren „,Tatort‘-Mitteln“ greifen. Auch die Bespitzelung durch Privatdetektive sei beliebt.
Die Folgen gleichen sich: Am häufigsten klagen die Betroffenen über vegetative Symptome wie Magen- und Kopfschmerzen. Die meisten leiden unter Angstgefühlen. Laut einer Umfrage von Profile ist der durchschnittliche Gemobbte achteinhalb Wochen krank geschrieben. Etwa die Hälfte räumt am Ende freiwillig den Arbeitsplatz. Wie hoch der durch Mobbing entstehende volkswirtschaftliche Schaden ist, rechneten in der vergangenen Woche Teilnehmer aus ganz Deutschland bei einer Veranstaltung der Gesellschaft gegen psychosozialen Streß und Mobbing in Berlin vor: 30 Milliarden Mark jährlich gehen demnach durch ärztliche Behandlung und Fehlzeiten verloren. Jeannette Goddar
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