Globalisierung erreicht Europas Zahnarztpraxen

■ Europäischer Gerichtshof urteilt: Krankenkassen müssen zahlen, wenn man sich im EU-Ausland ambulant behandeln läßt. Zahnersatz und Brillen für Verbraucher billiger

Freiburg (taz) – Deutsche PatientInnen, die sich ihre Zähne im EU-Ausland richten lassen, bekommen künftig Geld von ihrer Krankenkasse. Dies folgt aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Die Entscheidung gilt auch für andere ambulante Arztbehandlungen und den Kauf von Hilfsmitteln wie Brillen. Bisher durften die Krankenkassen solche Kosten nur erstatten, wenn im Urlaub oder auf Geschäftsreise eine akute Behandlung erforderlich wurde.

Der Gerichtshof gab damit zwei Bürgern Luxemburgs recht, die im Ausland eine Brille gekauft hatten beziehungsweise sich die Zähne regulieren lassen wollten. Zur Begründung stützten sich die Europarichter auf den im Europavertrag festgeschriebenen freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit. Luxemburg sowie mehrere andere EU- Staaten, darunter Deutschland und Spanien, hatten vorgetragen, mit einem überstaatlichen Gesundheitsmarkt gerate das finanzielle Gleichgewicht der Gesundheitssysteme in Gefahr. Dies wies das Gericht zurück.

Das Urteil stieß in Deutschland auf unterschiedliche Reaktionen. Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) übte heftige Kritik am Europäischen Gerichtshof. Langfristig werde entweder das Niveau der deutschen Gesundheitsversorgung sinken, wenn sich die Honorare europaweit angleichen, oder das deutsche System werde erheblich teuer. Seehofer kritisierte, daß seine Versuche, gegen Überkapazitäten im Gesundheitswesen vorzugehen, ins Leere gingen, „wenn jenseits der Grenze in beliebiger Menge verordnet und therapiert wird“. Auch die Bundesärztekammer sah „das deutsche Gesundheitssystem nachhaltig in Frage gestellt“. Andere Ärzteorganisationen bewerteten das Urteil in freundlicherem Licht, weil die neuen Möglichkeiten wohl nur von wenigen PatientInnen genutzt würden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sieht sogar Chancen für deutsche ÄrztInnen: „Jetzt werden mehr PatientInnen aus dem Ausland unsere hohen Standards nutzen.“ Selbst die Bundeszahnärztekammer bewertete das Urteil „positiv“. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) bezeichnete das Urteil als „verbraucherfreundlich“. AOK- Sprecher Udo Barske riet gestern jedoch dazu, sich vor einer Behandlung im Ausland bei der Krankenkasse zu informieren und auch im Ausland nicht auf einen Kostenvoranschlag zu verzichten. „Nur dann kann man wirklich vergleichen.“ Christian Rath

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