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Erst abgemeiert, dann gefeiert: Generalsekretär Hintze erhält von der Bonner Unionsfraktion rauschenden Beifall. Fraktionschef Schäuble wird düpiert, an den Auftritt des Kanzler erinnert sich kaum einer. Es kommt der „holzschnittartige Richtungswahlkampf“ Aus Bonn Bettina Gaus

Die Kraft des Alten

Die Abgeordneten waren ergriffen. „Brillant und mutig“ sei die Rede gewesen, „ganz hervorragend“ und „wirklich beeindruckend“. „Wenn Sie da drin gewesen wären, hätten Sie einen Aufnahmeantrag bei der CDU gestellt“, sagt einer.

Fast eine Stunde lang hatte Bundeskanzler Helmut Kohl am Dienstag auf der Fraktionssitzung der Unionsparteien gesprochen. Aber von ihm war nicht die Rede. Neue Hoffnung hat den gebeutelten Abgeordneten ausgerechnet ein Mann eingeflößt, der bisher eher glücklos agierte: CDU-Generalsekretär Peter Hintze.

Interessant. Aber was hat denn eigentlich Helmut Kohl auf der Fraktionssitzung gesagt? Sich da an Einzelheiten zu erinnern, fällt Abgeordneten spontan gar nicht so leicht. Die Gründe für die Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt habe er analysiert und die Union zur Geschlossenheit aufgerufen und – ach ja, gesagt, daß man im Osten „die Herzen gewinnen“ müsse. Jedenfalls stehe die Fraktion ganz klar hinter ihm und werde ihn unterstützen.

„Seifenblasen“, hatte Norbert Blüm vor der Zusammenkunft alle Gerüchte über einen Aufstand von Teilen der Fraktion gegen den Kanzler genannt. Gibt's eine Personaldebatte? „Nein.“ Eine Kabinettsumbildung? „Nein.“ Recht hatte der Minister. Heiner Geißler, einer der profiliertesten Kritiker von Helmut Kohl, war zu der Fraktionssitzung gar nicht erst erschienen. Friedbert Pflüger, in der Presse als einer der Rebellen bezeichnet, wollte von einem Neuanfang mit Fraktionschef Wolfgang Schäuble gar nichts mehr wissen: „Der Kanzler bleibt Kanzler, und wir werden ihn unterstützen.“ Das letzte Kapitel der Ära Kohl ist am Dienstag um ein paar Seiten verlängert worden. Die Kraft, die Fraktion zu Begeisterungsstürmen hinzureißen, hat jedoch wieder einmal ein anderer aufgebracht.

Die jubelnde Zustimmung für Peter Hintze kam einer Ohrfeige für Fraktionschef Wolfgang Schäuble gleich. Die Abgeordneten haben deutlich gemacht, daß sie die Trendwende mit demselben Kurs erreichen wollen, der sich bei früheren Wahlen als erfolgreich erwiesen hat – dem Risiko, das neuen Wegen innewohnt, haben sie sich verweigert. Die Union setzt im Wahlkampf auf die Strategie der Vergangenheit. Vielleicht ist die Ära von Wolfgang Schäuble nun schon zu Ende, bevor sie begonnen hat. Im Spiegel hatten die Abgeordneten nachlesen können, mit welchem Programm der langgediente Kronprinz in den Wahlkampf ziehen wollte. Er warnte in einer dort nachgedruckten Grundsatzrede vor dem CDU-Vorstand vor einem Lagerwahlkampf: „Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, daß wir in erster Linie gegen Rot-Grün marschieren. Wir müssen den Eindruck erwecken, wir marschieren in erster Linie für die Zukunft.“ Der Bevölkerung müßten auch unangenehme Wahrheiten offen gesagt werden. „Billiger Jakob sind die anderen, nicht wir.“ Die Union habe die bessere Konzeption für die Zukunft. Sie dürfe sich nicht auf den Wettbewerb einlassen, wer welcher Gruppe kurzfristig mehr biete. „Anstrengend statt bequem. Und das ist die Frage, ob wir uns zutrauen im Wahlkampf, das durchzuhalten oder nicht.“

Die Frage ist beantwortet: oder nicht. Schäubles Konzept schien den Abgeordneten denn doch zu gewagt, von denen viele auch auf bislang als sicher geltenden Listenplätzen um ihr Mandat bangen müssen. Ein bißchen billiger Jakob möchten sie schon gern sein. Peter Hintze macht ihnen da Mut. Unbequemlichkeit sei kein Selbstzweck, sagte er vor der Fraktion. Der Wahlkampf müsse auch „Verheißung“ für die Zukunft enthalten. Und einem polarisierenden, „holzschnittartigen Richtungswahlkampf“ kann der CDU-Generalsekretär ebenfalls viele gute Seiten abgewinnen.

Die Rede hatte den Vorteil, daß sich Repräsentanten verschiedener Lager innerhalb der Union das herauspicken können, was ihnen jeweils am besten gefällt. „Rauschender Beifall für Hintze – was wollen Sie mehr?“ rief ein fröhlicher Theo Waigel den wartenden Journalisten zu. Der CSU-Vorsitzende darf jetzt darauf vertrauen, daß entsprechend dem Wunsch seiner Partei Themen wie Ausländerpolitik und Innere Sicherheit stärker in den Vordergrund gerückt werden. Damit sollen vor allem rechtsgerichtete Wähler zur Union zurückgeholt werden.

Andere setzen eher auf wirtschaftspolitischen Optimismus. „Das Kernthema ist eine glaubwürdige Aufschwungkampagne. Daß die Leute spüren, die Mühen lohnen sich“, meint Verkehrsminister Matthias Wissmann. „Wir glauben eben sehr an den Aufschwung“, versichert auch Friedbert Pflüger. „Wir glauben, daß er kommt, und daß wir davon auch profitieren werden.“

Und wenn der Aufschwung nicht kommt? Der Kanzler nicht zu seiner alten Stärke zurückfindet, an die seine Partei mit fast religiöser Inbrunst glauben möchte? Die Führungsdebatte in der Union ist erst einmal beendet. Keine Experimente – so lautet die Parole, in der für sich allein genommen aber wohl auch die Zuversichtlichsten noch keine Erfolgsgarantie zu sehen vermögen. Irgendein Kaninchen sollte Helmut Kohl auf dem bevorstehenden CDU-Parteitag schon noch aus dem Hut zaubern.

Ob er sich über den Erfolg von Peter Hintze gefreut hat? In Bonn war in den letzten Wochen immer mal wieder über dessen mögliche Ablösung spekuliert worden. Noch am Tag der Fraktionssitzung hatten die Gerüchte neue Nahrung erhalten, als nämlich der Kanzlerfreund Peter Boenisch in der Bild-Zeitung Hintze „einen Unterhaltungswert von null und eine Überzeugungskraft von minus 100“ bescheinigt hatte. Ein neuer Generalsekretär könnte dem Wahlkampf Auftrieb verleihen, wenn es denn schon keinen neuen Spitzenkandidaten gibt. Jetzt aber hat Peter Hintze, mit dem Rücken zur Wand stehend, unvermutete Kämpferqualität bewiesen. Er ist gestärkt.

Weiter geschwächt hingegen ist Wolfgang Schäuble. In der Fraktion demonstrierten er und Hintze Einigkeit. Eigentlich wollten sie doch beide dasselbe, versicherten sie einander lächelnd. Emotionen ohne Inhalte könne es nicht geben, aber auch keine Inhalte ohne Emotionen, erklärte Schäuble. Der Schulterschluß konnte Teilnehmer über die unterschiedliche Gewichtung der Wahlkampfschwerpunkte nicht hinwegtäuschen.

Zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten scheint der Zeitpunkt für Diadochenkämpfe in der Union günstig. „Helmut Kohl ist die Nummer eins“, betont Verteidigungsminister Rühe vor Journalisten. Dann fügt er hinzu: „Auch die Generation nach Helmut Kohl ist bei der CDU besser als bei anderen Parteien.“

Zu einer Generation gehören aber immer meh rere.

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