Kommentar
: Politischer Richtungswechsel in Magdeburg

■ Wie man mit dem Wählerwillen umspringt

Die Magdeburger Ménage à trois an der Regierung brachte den sachsen-anhaltinischen Landeskindern keinen Reichtum, war aber gut fürs Gemüt. Sie produzierte wenig Arbeitsplätze, dafür eine Menge Selbstwertgefühl. Und Vertrauen in einen Staat, der zwar ohnmächtig war, aber fürsorglich auftrat. Jetzt schaut Höppner unglücklich aus seinem schief geschnittenen Anzug. Nach dem Wegfall der Bündnisgrünen gilt es, die „Große Koalition der Vernunft“ mit der schwindsüchtigen CDU zu installieren. So will es Müntefering, der SPD-Mann mit der eisernen Maske.

Um welche Vernunft es sich hier handelt, ist glasklar. Es geht darum, das richtige Signal für den Bundestagswahlkampf zu senden. Dem Pastor Hintze kein Gramm Material für einen „Lagerwahlkampf“ zu liefern. Deshalb die PDS draußen zu lassen, obwohl die Mehrzahl der SPD-Funktionsträger und Höppner selbst davon überzeugt sind, daß es sich mit einer tolerierenden PDS besser regieren ließe als mit einer koalierenden CDU. Bei aller freizügigen Interpretation des Wählerverhaltens: Haben die Sachsen-Anhaltiner der CDU deshalb eine Erdrutsch-Niederlage beschert, um sie anschließend in der Regierung zu sehen?

Was hier als „Vernunft“ gehandelt wird, ist instrumentell auf die Wahlkampfstrategie in Deutschlands Westen bezogen und arbeitet mit der unbewiesenen Hypothese, die Volksfront-Parolen der CDU würden im Wahlkampf ziehen. Der CDU-Spitzenkandidat Bergner hatte in den vergangenen Wochen einen „politischen Richtungswechsel“ eingefordert. Niemand wußte, was genau damit gemeint war.

Der Abschluß einer Großen Koalition in Magdeburg, er wäre in der Tat ein Richtungswechsel, der durch den Erfolg der Rechtsextremen in keiner Weise gerechtfertigt ist. Wer sagt, daß angesichts der DVU-Abgeordneten die „Demokraten zusammenrücken“ müssen? Das Tolerierungsmodell hätte eine klare Mehrheit. Es zu verwerfen bedeutet, das Wählervotum kalt zu ignorieren. Die Ostdeutschen werden so zur Manövriermasse im Wahlkampf degradiert. Ihnen wird bedeutet: Pech für euch, daß ihr letzten Sonntag wählen mußtet und nicht erst im November. Denn dann wird unter „stabiler Regierung“ etwas ganz anderes verstanden werden können.

Wo sitzen eigentlich die Paternalisten, in Magdeburg oder in Bonn? Christan Semler