Kunstschleifen in der Straßenbahn

■ Vielseitige Eröffnung der „Pro Musica Nova“– zwischen Steppen und Tram-Depot

„Ist das noch Musik?“Diese durch die Antwort von John Cage berühmt gewordene Frage wird noch immer gestellt. John Cage hatte geantwortet: „Sie können es ja auch anders nennen!“Mit dem Ansatz der diesjährigen „Pro Musica Nova“gibt es reichhaltige Möglichkeiten, sich erneut mit einer Richtung der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts auseinanderzusetzen, die Abschied genommen hat von der reinen Erfindung reiner Instrumentalmusik in reinen kompositorischen Strukturen. Musik ist schon vorhandenes Reales, Konkretes, Lebendiges: Auf den inzwischen musikwissenschaftlich-historischen Begriff gebracht hatte das die „Musique Concrète“von Pierre Schaeffer (1948). Luigi Nono hatte für sein „La Fabbricca Illuminata“1964 wochenlang Geräusche in italienischen Fabriken aufgenommen – so wie jetzt Jens P. Carstensen mit seinem uraufgeführten „orten. straßenbahndepot, Flughafendamm, bremen“.

Carstensen hat Klänge in der Straßenbahnreperaturwerkstatt gesammelt, sie sortiert, elektronisch bearbeitet und zusammen mit Andres Bosshard, Christoph Cargnelli, Harald Kügler und Peter Szely, die alle an Mischpulten arbeiteten, erneut in der Halle präsentiert. Vorbereitet auf die Klänge war das Publikum schon durch eine gemeinsame Straßenbahnfahrt zum Flughafen. Was allerdings bei der Fahrt noch vollkommen beliebig klang, konnte zum Teil vor Ort konkret erkannt werden. Die beiden Herren von der Straßenbahn: „Es ist genau unsere Arbeitswelt, wir haben alle Geräte erkannt und die Montage gibt auch den bedrückenden Streß unseres Arbeitstages wieder“– die Geräusche kreisen in Schleifen.

Weiter ging's dann abends in der fast ausverkauften Schauburg, in der Carola Bauckolts „In gewohnter Umgebung“mit ihren koboldhaft-witzigen Montagen der Alltagsgeräusche – auf Video – und deren Übertragungen auf die Instrumente Cello (Ann Carewe) und Cimbalon (Matthias Kaul) mit Abstand am meisten überzeugte. Flach wirkte Manos Tsangaris „Tafel 1“, das Spiel-, Licht- und Geräuschsignale unerkennbar beliebig ineinander setzt und als erstes Konzertstück der gesamten Nova an dieser Stelle eher ungünstig plaziert war. Die New Yorker Tänzerin Anita Feldman hat den Steptanz wesentlich weiterentwickelt und hier mit ihrer Kollegin (Schülerin) Rhonda Price drei Stücke vorgestellt. Während jedoch „Twister“– abgesehen von dem spaßvollen Steppen als sonstigem Körperausdruck – eher gymnastischen Dilettantismus zeigte und „Hooved Mammals 93“mit seinen Tigerkostümen peinlich an kunsthandwerkliche Esoterik heranreichte, zeigten die beiden Tänzerinnen mit „Shoo“zusammen mit dem Schlagzeug eine kluge, witzige Grenzüberschreitung des Steppens, die technisch allerdings hätte besser sein müssen. Gut oder schlecht ist jedoch hier nicht der Punkt, sondern der generell experimentelle Charakter: insgesamt eine Eröffnung, die Lust macht auf weitere Einfälle zwischen Musik und Raum, Video, Geräusch, Elektronik, Bild und vielem mehr.

Ute Schalz-Laurenze