Von Wolffs Revier zum typischen Ort des Verbrechens

■ Je erfolgreicher die Filmstadt Berlin, desto unwirklicher wird das Bild von der Hauptstadt. In Actionfilmen wie „Team Berlin“ oder der Serie „Helicops“ ist die Stadt nur noch austauschbare Kulisse

Daß Jürgen Heinrich alias Hauptkommissar Wolff in Berlin ermittelt, ist kein Zufall. Schließlich ist „Wolffs Revier“ eine der wenigen Krimiserien, bei der nicht nur der Held, sondern auch der Handlungsort eine Hauptrolle spielt. „Wir sind mit Wolffs Revier bewußt nach Berlin gegangen“, sagt Werner Kließ, der Produzent der Sat.1-Serie. „Wir machen zwar eine Fiction-Serie“, weiß Kließ, „nehmen aber die Stoffe auf, die in Berlin auf der Straße liegen.“ Fiction und Facts: im Amerikanischen nennt man diese Verknüpfung von Dichtung und Wirklichkeit Faction.

Sieben Jahre läuft „Wolffs Revier“ inzwischen und ist damit eine der erfolgreichsten deutschen Krimiproduktionen. War der Sender mit seiner Vorliebe für Berlin anfangs noch eine Ausnahme in der Branche, ist Berlin mittlerweile zum Tummelplatz für allerlei Fernsehproduktionen geworden. In einem stillgelegten Krankenhaus dreht Sat.1 „Für alle Fälle Stefanie“. RTL produziert „Hinter Gittern – der Frauenknast“ und „Im Namen des Gesetzes“. Das ZDF schließlich produziert mit „Rosa Roth“ auch einige seiner Eigenproduktionen in Berlin. In Spitzenzeiten, so heißt es beim Filmboard Berlin-Brandenburg, werde bis zu 40mal täglich in der Innenstadt gedreht. Tendenz steigend. Bis zum Jahr 1999 soll an der Spree jeder fünfte deutsche Film gedreht werden. Berlin hat sich damit gegenüber der Konkurrenz in Köln, Hamburg und München deutlich gesteigert.

Doch anders als bei „Wolffs Revier“ ist in vielen Serien Berlin nur mehr Produktions-, aber nicht mehr Handlungsort. Zum Beispiel bei der RTL-Serie „Im Namen des Gesetzes“: „Das Brandenburger Tor zu zeigen ist bei uns tabu“, weiß Wolfram Kempe, einer der Drehbuchautoren der Serie. Ziel des Senders sei es, eine fiktive Handlung in einer fiktiven Großstadt anzusiedeln.

Der Handlungsort als Kulisse – das ist nicht neu. Bereits bei der gedrehten WDR-Produktion „Der Fahnder“ wurde peinlichst vermieden, den Drehort München sichtbar zu machen. Das filmische Versteckspiel ging gar so weit, daß sämtliche Nummernschilder der Autos bei den Dreharbeiten überklebt wurden. Einher mit dieser Typisierung des Handlungsorts ging auch eine Typisierung der Handelnden. Anders als bei Kommissar Wolff, der nicht nur Kriminalfälle zu lösen, sondern auch die Probleme mit seiner Tochter zu bewältigen hat, wird in den typisierten Serien die Handlung – und damit auch der Handlungsort – auf den engeren Kriminalfall reduziert.

Neu ist allerdings, daß diese Typisierung mittlerweile auch die Wirklichkeit des Berliner Filmgeschäfts und damit das Filmbild von Berlin bestimmt. Nicht mehr das Berliner Lokalkolorit mit seiner Bandbreite vom Kiezleben in Prenzlauer Berg bis zu ethnischen Konflikten in Kreuzberg spielt nunmehr eine Rolle, sondern Berlin als typische Hauptstadt des Verbrechens. Die Verbrechen selbst sind dabei ebenso austauschbar wie die Stadt, in der sie spielen. So wurde in der Pro7-Produktion „Die Straßen von Berlin“ kurzerhand die Brücke vor dem ICC in die Luft gesprengt, in der ZDF- Reihe „Team Berlin“ wurde auf den Innensenator im Roten Rathaus ein Sprengstoffanschlag verübt, und in der demnächst erscheinenden Sat.1-Serie „Helicops“ stürzt ein Hubschrauber in den Palast der Republik.

Aus Faction wurde Action. Die Straßen von Berlin sind von denen in San Francisco nicht mehr zu unterscheiden. Nur so, weiß Wolfram Kempe, lassen sich die unter 30jährigen wieder für den Kriminalfilm begeistern. Und nur mit den unter 30jährigen, das wissen nicht nur die Privatsender, läßt sich Quote machen.

Je mehr Action freilich, je schneller die Schnitte, desto schreierischer die Stoffe. Das Berlinbild wird zum Boulevard. Von der sozialen Wirklichkeit, die Jürgen Heinrich alias Kommissar Wolff noch auf der Straße findet, wird daraus die Wirklichkeit der Bild-Zeitung. Eigentlich paradox: Je erfolgreicher die Filmstadt Berlin wird, desto mehr verschwindet das Bild der Stadt. Auch das ist in Amerika bereits gang und gäbe. Um die teuren Produktionskosten in Manhattan zu vermeiden, wird so mancher New-York-Film in Toronto gedreht. Die eingespielten Bilder des Empire State Buildings stammen dann aus dem Archiv. Uwe Rada