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Wo ein Genosse ist, da ist die Partei

Von der SED lernen heißt siegen lernen? Seit die Grünen in Sachsen- Anhalt gescheitert sind, kämpft die Partei in Ostdeutschland ums politische Überleben. Dabei ist nicht das Image wichtig, sondern Präsenz vor Ort  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Werner Schulz macht sich manchmal ganz süße Vorstellungen von der Politik. Etwa zur Rolle, die die ostdeutschen Landesverbände bei den Bündnisgrünen spielen. Das Bündnis 90 sei, so wird der parlamentarische Geschäftsführer zitiert, in der Gesamtpartei der Grünen wie ein Stück Zucker im Tee. Mittlerweile habe es sich ganz aufgelöst, dafür aber schmecke der Tee besser. Nun läßt sich bei den Grünen sogar über Geschmack streiten, und mancher Ostgrüne verzieht nach wie vor die Miene, wenn er von der Gesamtpartei spricht. Doch seit die Partei in Sachsen-Anhalt aus dem letzten ostdeutschen Landtag geflogen ist, greift die bange Ahnung um sich, daß es sich bei dem Süßstoff womöglich um ein einmalige Beigabe handelt.

Einige Grüne, wie Hans-Joachim Tschiche, der Fraktionsvorsitzende im sachsen-anhaltinischen Landtag, sehen seitdem das alte Bündnis 90 der frühen neunziger Jahre am Ende und die Partei im Osten vor einem Neuanfang. „Bündnis 90 ist tot“, meint auch Marianne Birthler, die es seinerzeit schmiedete und in die Gesamtpartei überführte. Mit Erstaunen nimmt sie dieser Tage zur Kenntnis, daß sich kein Verantwortlicher in der Partei an den fünften Jahrestag der Fusion von Bündnis 90 mit den Grünen erinnert.

Einst wurden die Politiker von Bündnis 90 wegen ihres Beitrags zur Wende in der DDR gewürdigt, sie saßen als Minister in der Modrow-Regierung und ersetzten die Grünen, als die sich aus dem Bundestag katapultierten. Sie legten damit einen der Grundsteine für deren Wiedereinzug. Doch zugleich begann ihr Niedergang in den ostdeutschen Ländern. Bürgerechtler, ehedem ein Ehrbegriff, wurde zum Spottnamen. Der Umweltschutz schrumpfte zum Nischenthema. Die Bündnisgrünen flogen aus allen Landesparlamenten. Seit der Wahl in Sachsen-Anhalt wird im Osten von einer Drei- parteienlandschaft gesprochen. Und mancher der Westpolitiker sinniert hinter vorgehaltener Hand wieder darüber, ob die Grünen nicht doch eine originäre Westpartei sind.

Der mecklenburgische Landessprecher Klaus-Dieter Feige sieht das parteiinterne Zusammensein nach wie vor nicht gelöst. Zwar ist der Bundesvorstand, dem auch Feige angehört, fast paritätisch besetzt, doch gebe es klare Trennungslinien in und außerhalb der Partei. Die ostdeutschen Landesverbände würden bundespolitisch kaum wahrgenommen. Welcher ostdeutsche Grünen-Politiker habe denn schon einen nennenswerten Bekanntheitsgrad, fragt sich der stellvertretende Bundesvorsitzende. Röstel und Schulz, lautet seine Antwort. Selbst die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten entfalten kaum öffentliche Wirkung. Und im kommenden Bundestag werden womöglich nur noch zwei Bündnisgrüne aus den fünf neuen Ländern sitzen, wenn sich das Blatt im Osten nicht noch wenden läßt.

Für den Fall würde sich der Horizont der Wahrnehmbarkeit der Grünen im Osten womöglich auf das Jahr 2002 verschieben, meint Feige. Einen noch weiter gesteckten Zeitrahmen hat Tschiche für den Neuanfang der Grünen im Osten skizziert. Er hat ihn an die Entwicklung eines urbanen postmodernen Milieus gekoppelt, ähnlich jenem, welches in den siebziger Jahren in Westdeutschland die Grünen hervorgebracht hat. Ansätze solcher mittelständischer Soziotope mit entsprechender Wertorientierung sind auch in den ostdeutschen Städten vorhanden. Und die Bündnisgrünen profitieren davon. So haben sie in Leipzig und Dresden 230 bzw. 170 Mitglieder, das sind zusammen soviel wie im gesamten Verband des Flächenlandes Sachsen-Anhalt. Während dort 3,2 Prozent der Wähler den Bündnisgrünen ihre Stimme gaben, waren es in einzelnen Bezirken in Halle immerhin 8 Prozent.

Wollten die Bündnisgrünen Tschiches Prognose folgen, müßten sie ihre Aktivitäten auf die großen Städte konzentrieren. Das entspricht auch den Vorstellungen, die der Vorstandssprecher Jürgen Trittin zu Beginn des Wahlkampfes geäußert hat. Da sich 43 Prozent der Grünen-Wähler auf zwölf Städte verteilen, plädierte er dafür, die knappen Ressourcen entsprechend zu bündeln. Eine solche Strategie findet Feige angesichts der „Schicksalswahl 1998“ zwar verständlich, doch habe sie „Knurren im Osten“ hervorgerufen. Denn zumindest mittelfristig könne sich die Vernachlässigung der schwachen Regionen als fatal erweisen. Zumal der Osten Deutschlands weit weniger als der Westen durch städtische Zentren geprägt ist. In Thüringen etwa hat die größte Metropole, Erfurt, gerade mal 200.000 Einwohner.

Die Sprecherin des dortigen Landesverbandes, Karin Göring- Eckardt, hält von einer solchen Konzentration der Mittel auf die Großstädte wenig. Für sie bedeutet das Ergebnis von Sachsen-Anhalt zudem keine Zäsur in der Geschichte der ostdeutschen Landesverbände. In Magdeburg seien die Grünen zwar in der Regierung gewesen, doch hätten sie wenig Arbeit in den Aufbau der Partei gesteckt. In Thüringen hingegen hätten die Grünen, nachdem sie vor vier Jahren aus dem Landtag geflogen sind, sich über drei Jahre hinweg organisatorisch konsolidiert. Die Partei habe dafür gesorgt, daß es in jedem Kreis auch einen Verband mit Geschäftsstelle gibt. Ihre Kontakte zu Wirtschaft, Gewerkschaft und den Verbänden habe sie ausgebaut.

Entsprechend optimistisch schaut Göring-Eckardt in die Zukunft. Bei der Bundestagswahl wollen die Grünen in Thüringen und in Sachsen, wo die Situation ähnlich stabil ist, über fünf Prozent der Stimmen gewinnen. Für Göring-Eckardt und Feige ist das Ergebnis von Magdeburg zudem nicht so gravierend, wie es öffentlich wahrgenommen wird. Die Grünen hätten im Osten immer nur über eine Kernwählerschaft von drei Prozent verfügt. Die habe sich, so Feiges Beobachtung, auch durch die Forderung nach fünf Mark für einen Liter Benzin nicht sonderlich irritieren lassen.

Allerdings stünden ökologische Themen nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Obwohl die Grünen mittlerweile fünfzig Prozent ihrer Kapazitäten in andere Bereiche investieren, in die Arbeits- und Sozialpolitik beispielsweise, verzeichne man dort eine Akzeptanz von gerade mal einem Prozent. Wechselwähler lassen sich von solchen Bemühungen der Grünen nicht so leicht überzeugen, aber von falschen oder falsch vermittelten Positionen sehr wohl abschrecken. Da die Grünen zudem unterhalb der Fünfprozentmarke pegeln, fürchtet mancher Sympathisant, seine Stimme sei verschenkt.

Deshalb kämpfen die Grünen, so Feige, immer an der Wahrnehmbarkeitsgrenze. In den Medien dominieren die Bundespolitiker, unter denen die Ostgrünen kaum eine Rolle spielen. Doch auch Westgrößen wie Fischer sind nicht per se Garanten für gute Ergebnisse. So hat der Fraktionschef in Dessau zwar vor vollem Saal gesprochen, das Landtagswahlergebnis dort war jedoch katastrophal. Das Städtchen Malchow in Mecklenburg hingegen liegt selten auf der Reiseroute der Bundesprominenz. Dort sorgt jedoch ein grüner Bürgermeister dafür, das die Grünen eine stabile Mehrheit gegenüber den anderen Parteien haben.

Feige schließt daraus, daß weniger das medial vermittelte Image als vielmehr die Präsenz vor Ort entscheidend für das weitere Schicksal der Grünen ist. So sei die Partei bei Wahlen überall dort eingebrochen, wo sie keinen eigenen Kandidaten aufgestellt habe – auch wenn die Erststimme kaum erfolgsträchtig ist. Feige kann denn auch einem alten Erfahrungssatz des politischen Gegners einen ganz neuen Sinn abgewinnen: „Wo ein Genosse ist, da ist die Partei.“

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