: "Diese Regierung muß weg"
■ 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschafter fordern offen Regierungswechsel in Bonn. Schulte beklagt "Sozialklau". Arbeitsminister Blüm: Gewerkschaften leisten Wahlkampfhilfe für die SPD
Hamburg (dpa) – Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl haben führende Gewerkschafter am „Tag der Arbeit“ zu einem Kurswechsel in der Bundespolitik aufgerufen. Die Vorsitzenden der Gewerkschaften ÖTV und IG Metall, Herbert Mai und Klaus Zwickel, riefen offen zur Abwahl der Bonner Koalition auf. „Diese Regierung muß weg“, verlangte Mai.
Bei rund 500 Veranstaltungen demonstrierten zum 1. Mai Hundertausende – nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftbundes (DGB) eine halbe Million Menschen – unter dem Motto „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Die Gewerkschafter warfen der Bonner Koalition Versagen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vor. Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück.
Bei der zentralen DGB- Kundgebung in München machte DGB-Chef Dieter Schulte die Bundesregierung für massiven Sozialabbau und eine Finanzpolitik auf Kosten der Arbeitnehmer verantwortlich. Die Koalition habe das Geld für eine aktive Beschäftigungspolitik aus den öffentlichen Kassen in die Taschen der Reichen umverteilt, sagte Schulte vor rund 4.000 Zuhörern. Diesem „Sozialklau“ müsse mit „Verteilungsgerechtigkeit“ begegnet werden: „Sonst droht unser Land zu zerreißen.“
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Mai, rief vor rund 5.000 Zuhörern in Dortmund: Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sei mit der Bonner Koalition nicht zu gewinnen. Bundeskanzler Helmut Kohl sei für eine soziale Spaltung der Gesellschaft und neue Armut verantwortlich.
IG-Metall-Chef Zwickel sagte in Ingolstadt, die derzeitige Regierung habe „weder die Ideen noch die Kraft, Deutschland ins nächste Jahrhundert zu führen“. Mehr Steuergerechtigkeit verlangte der Vorsitzende der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), Roland Issen. Mittlerweile finanzierten die Arbeitnehmer das Land fast ausschließlich allein, sagte Issen in Celle.
Kanzleramtschef Friedrich Bohl (CDU) wies die Vorwürfe scharf zurück. Er beschuldigte die Gewerkschaften, „unverantwortlich die Ängste der Bevölkerung zu schüren“. „Die Behauptungen vom Abriß des Sozialstaates und einer Gefährdung des sozialen Friedens entbehren jeder sachlichen Grundlage“, so Bohl.
Politiker von Union und FDP warfen den Gewerkschaften erneut Wahlkampfhilfe für die SPD vor. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) sagte, der DGB lasse sich „zum Transmissionsriemen der SPD degradieren“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hermann Lutz, entgegnete, die DGB-Kampagne „Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ sei keine Wahlkampfhilfe für eine bestimmte Partei. Niemand habe sich aufgeregt, daß die Arbeitgeberverbände „einen tiefen Diener vor dem derzeitigen Bundeskanzler“ gemacht hätten, sagte Lutz, der sich selbst als CDU-Wähler bezeichnet, in Regensburg.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen