: Ein Boxergesicht spricht für sich
Gesichter der Großstadt: Der Schauspieler und Alt-Autonome Alfons Kujat hat ein Problem: Seine 1,93 große Gestalt macht ihn zum bevorzugten Festnahme-Objekt der Polizei ■ Von Gereon Asmuth
„Dieses Gesicht habe ich mir genau gemerkt“, gab Zeuge W. zu Protokoll. Der Mann habe am 1. November 1996 die Scheibe beim Optiker in der Frankfurter Allee eingeschmissen. Dieses Gesicht, gibt auch Polizeihauptmeister S. vor Gericht an, werde er jederzeit wiedererkennen. „Sie haben ein Gesicht, hat der Richter mir mal gesagt, das Sie offensichtlich von vornherein als Straftäter abstempelt“, erzählt Alfons Kujat.
Seine Augen wirken leicht verquollen. Die Nase leicht geschwollen. Seine Hände sind Pranken, und auch die Statur des 1,93 Meter großen, breitschultrigen Mannes erinnert an einen Boxer. Ein Typ, dem man nicht unbedingt im Dunkeln begegnen möchte. Als Jugendlicher habe er wirklich ein wenig geboxt, erzählt der heute 43jährige. Dann lernte der Ostfriese Koch und Konditor, später auch das Schweißerhandwerk. Ein halbes Jahr war er „Kopfschlachter“ bei Schweinen und Rindern. Später studierte er ein wenig Betriebswirtschaft und leitete schließlich Funktionsträgerlehrgänge bei der IG Metall, bevor er seine bisher letzte, aber auch vielseitigste Rolle fand. Über Laienspielgruppen fand er den Weg zum Theater.
Heute ist der Schauspieler Mitglied der „Berliner Compagnie“, die mit systemkritischen Stücken durch Deutschland tourt. Auf der Bühne verkörpert Kujat meist den Bösen: einen Skinhead und einen faschistoiden Hausmeister in dem Stück „Kein Asyl“. Oder einen schizoiden Chefredakteur in dem Stück über Rüstungsexporte.
So eine Art Alt-Autonomer sei er, meint Kujat. Nur eben nicht, wie viele seiner Altersklasse, im Ruhestand und daher „ein Fossil“. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter ging Alfons Kujat den umgekehrten Weg. „Eigentumswohnung und Mercedes“, zählt Kujat auf, das habe er gehabt, bevor er merkte, daß er sich in den „gesicherten Verhältnissen“ unwohl fühlte, daß ihm sein Engagement in institutionalisierten Organisationen wie der SPD und den Gewerkschaften nicht mehr ausreichte. Seit 1983 bewegt er sich in Kreisen von Hausbesetzern und Autonomen. „Da wo dem Freiheitsgedanken widersprochen wird, widersetze ich mich“, erklärt Kujat, der von Freunden als „Freidenker“ bezeichnet wird. Auch innerhalb des linksalternativen Spektrums versucht er Dogmatismus zu verhindern.
„Man muß nicht militant sein“, meint der Alt-Autonome. So hält er auch den Brandanschlag auf die Straßenbahn am 1. November 1996 kurz nach der Räumung besetzter Häuser in der Kreutziger Straße für falsch. „Wir waren so weit, daß der Bezirk sich gegen die Rechtsbeugung des Innensenators ausgesprochen hatte“, erklärt Kujat. Zwar war für ihn völlig klar, daß er nach einer Räumung demonstrieren würde, aber er wollte „der Staatsmacht keinen Anlaß geben, mir den Schädel einzuhauen“.
Ein Konzept, bei dem die Polizei allerdings nicht mitspielt. Auf dem Weg zur Demo nach der Räumung am 29. Oktober 1996 wird Kujat festgenommen. Wegen Widerstands bei der Personalienfeststellung muß er sich derzeit vor Gericht verantworten. Unmittelbar nach dem Brandanschlag auf die Straßenbahn wird Kujat bei einer erneuten Festnahme von einem Polizeihund gebissen. Ihm wird erklärt, er sei bei dem Anschlag gesehen worden. Später soll er noch das Schaufenster eines Optikers eingeworfen haben. Bereits Anfang September 1996 war Kujat festgenommen worden. Rechte Hooligans hatten die Besetzerszene in der Kreutziger Straße angegriffen. Kujat soll die „Autonomen“ mit dem Ruf „Haut die Nazis tot!“ angefeuert haben. Einen Hooligan soll er mit einer Keule niedergeschlagen haben.
Anders als viele seiner Gesinnungsgenossen hat Kujat jedoch ausgesprochenes Glück. Ein verletzter Hooligan läßt sich nicht finden. Ein anderer Hooligan, der den Keulenschlag bezeugen soll, gibt an, besoffen unter einem Billardtisch gelegen zu haben. Weitere Zeugen hält das Gericht für unglaubwürdig und spricht Kujat frei. Auch die Schaufensterzerstörung ist nicht zu belegen. Der Optiker habe angegeben, seine Fenster seien nicht durch Steinwürfe, sondern durch Brechstangen zerstört worden, berichtet Kujat.
Und auch in dem dritten Verfahren verläßt den Schauspieler nicht das Glück. Ein Jugendlicher filmte seine Verhaftung, das Video wurde am vergangenen Dienstag vor Gericht präsentiert. Darin ist ein heranstürmender Polizeitrupp zu sehen, der die Passanten „Alle an die Wand!“ kommandiert. Sekunden später boxt ein Polizist den an der Hauswand stehenden Kujat in den Bauch und ins Gesicht. Später wird sein Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen. Der festnehmende Polizist S. hatte angezeigt, Kujat habe sich ihm mit dem Körper entgegengestemmt, die Fäuste geballt, und in seine Richtung gestoßen, ohne ihn zu treffen.
Nach Sichtung des Videos will S. plötzlich nichts mehr mit der Festnahme zu tun gehabt haben. Der schlagende Beamte in dem Video trage eine andere Helmkennung als er, behauptet S. Der Staatsanwalt will nun anhand von Einsatzprotokollen feststellen, welcher Beamte den Helm wirklich getragen hat. Er gehe weiter davon aus, daß das der Zeuge S. gewesen sei. Morgen soll das der zuständige Einsatzleiter vor Gericht belegen. Während das „Boxergesicht“ Kujat nun auf einen weiteren Freispruch hoffen darf, droht dem Beamten ein Verfahren wegen Körperverletzung und Falschaussage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen