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Tradition der geplanten Eskalation

Polizei und Krawall-Kids ließen die „Revolutionäre Demonstration“ am Abend des 1. Mai im Chaos enden. Zahllose Verletzte und über 400 Festnahmen  ■ Aus Berlin Gereon Asmuth

Ausgesprochen ausgelassen und fröhlich hatte sie begonnen, die zweite „Revolutionäre Demonstration“ am Abend des 1. Mai im Berliner Stadtbezirk Mitte. Trotz eines immensen Polizeiaufgebots hatten sich im Anschluß an ein von dem Obdachlosenmagazin Straßenfeger organisiertes Fest vor der Volksbühne gegen 18 Uhr etwa 6.000 Demonstranten versammelt, um unter dem Motto enough is enough in den Stadtteil Prenzlauer Berg zu ziehen. „Kostenlose Kinderbetreuung, Bildung statt Elitenbildung und Abschaffung von Sondergesetzen gegen Ausländer“, lauteten einige der eher unspektakulären Forderungen im Demo-Aufruf.

Statt des üblichen knarzenden Lautsprecherwagens hatten die Organisatoren diesmal einen Laster mit bombastischen Boxen aufgefahren, der sich auch auf der Techno-Demo Love Parade gut gemacht hätte: Eine perfekte „Radio-Show“ mit DJ's amüsierte die Menge.

Als gegen 19.30 Uhr klar wurde, daß die Polizei Busse mit Demonstranten der Leipziger 1.-Mai- Kundgebung festhielt, entschlossen sich die Demo-Organisatoren, ohne „die Leipziger“ anzufangen. Direkt vor dem Aufzug hatte die Polizei eine regelrechte Burg aus Mannschaftswagen postiert. Binnen weniger Minuten kam es zur Eskalation: Vor allem Krawall- Kids bombardierten von der Festwiese aus mit Flaschen und Steinen die Polizeifahrzeuge, an denen sich die Demonstranten vorbeidrängeln mußten. Ein Teil der 5.000 eingesetzten Polizisten stürmte ihnen mit Schlagstöcken entgegen.

Nach dem ersten Ausbruch beruhigte sich die Lage zunächst wieder. Aber weder bei den Demonstranten noch bei der Polizei war die übliche Marschtaktik erkennbar: Keine Ketten bei den Demonstrierenden, und die Polizei brachte ihr Spalier zuerst nicht zustande. Immer wieder griffen dafür Polizeitrupps die Spitze des Umzugs an. Erneut flogen Flaschen.

Aus Protest gegen die „anhaltenden Polizeiübergriffe“ stoppte die Demonstrationsleitung schließlich gegen 21 Uhr den Umzug und drohte die Veranstaltung abzubrechen. Genau in dem Moment, als per Lautsprecher eine Einigung mit dem Einsatzleiter und die Fortsetzung der Demo verkündet wurde, entdeckte die Polizei einen brennenden Papiercontainer und stürmte quer durch den Aufzug. Teile der Demonstranten antworteten mit unzähligen Steinwürfen, die die Beamten vorerst vertrieben. Zahlreiche Schaufenster gingen zu Bruch, die Auslagen eines Computerladens wurden geplündert. Kurzzeitig gewannen die Steinewerfer die Oberhand.

Nun erklärte die Demoleitung den Aufzug endgültig für beendet. Die Polizei prügelte wahllos durch die Straßen. Nach etwa zehn Minuten blieben mehrere Schwerverletzte am Boden liegen. Für verletzte Polizisten standen umgehend Krankenwagen zur Verfügung, selbst blutüberströmte Demonstranten wurden jedoch mit Polizeifahrzeugen abtransportiert.

Während sich die Demonstration nach dem Polizeiansturm relativ schnell auflöste, verlagerten sich die Ausschreitungen in die Seitenstraßen. An mindestens vier Stellen wurden Bauwagen und Barrikaden in Brand gesetzt. Mit Wasserwerfern und Tränengas räumte die Polizei bis Mitternacht immer wieder die Straßen. Die Polizei meldete 17 verletzte Beamte und 407 vorläufige Festnahmen. Die Demo-Organisatoren warfen der Polizei „unangemessene Härte“ vor. Auch mit Selbstkritik wurde nicht gespart. Ein Anmelder des Umzuges bezeichnete das Verhalten vor allem von jungen Demonstranten als „unüberlegt und unpolitisch“. Er bedauerte, daß auch viele Schaufenster von kleinen Läden zerstört wurden.

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