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Chirac zwingt Euro-Hüter zum freiwilligen Rücktritt

■ In einer Nachtsitzung der EU-Chefs setzt sich Frankreich durch: Der Holländer Duisenberg muß als Zentralbankchef nach vier Jahren Chiracs Kandidaten weichen

Brüssel (taz) – Der Präsident des Europaparlaments, José Maria Gil-Robles, ließ seine vorab verteilte Rede wieder einsammeln. Nach dem entwürdigenden Schauspiel um den künftigen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) war dem Spanier nicht mehr nach feierlichen Worten. Er hoffe, ließ er die 15 EU- Regierungschefs knapp wissen, daß sich der Euro von den mißlichen Umständen seiner Geburt doch noch erholen werde.

Zwölf Stunden lang haben die EU- Chefs in der Nacht auf Sonntag gefeilscht, wieviel Demütigung sie dem künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank zumuten können. Unter französischem Druck mußte der Holländer Wim Duisenberg (62) schließlich öffentlich erklären, daß er das Amt annehmen, aber vorzeitig und aus eigenem Antrieb zurücktreten werde. Der französische Kandidat, der Pariser Notenbankchef Jean-Claude Trichet, soll dann das Amt übernehmen.

Dieser Kompromiß war zwar seit Monaten diskutiert worden, doch bis zum Schluß konnte Duisenberg davon ausgehen, daß eine stillschweigende Vereinbarung ausreiche. Das hätte ihm erlaubt, sein Gesicht zu wahren.

Die Europäische Währungsunion geht nun mit einem schwer angeschlagenen Zentralbankpräsidenten an den Start. Zwischen den Jubelarien über die nun endgültige Einführung des Euro in 11 Ländern ließen einige Regierungschefs durchblicken, daß sie für den heutigen Montag Unruhen an den Finanzmärkten befürchten. Die Devisenmakler könnten aus den europäischen Währungen in den Dollar flüchten, hieß es. Noch schwerer allerdings wiegt der Vertrauensverlust in die Stabilität der künftigen Europawährung. Laut Maastrichter Vertrag kann der für acht Jahre ernannte Präsident der Europäischen Zentralbank nicht abgesetzt werden. Das soll die Unabhängigkeit der Bank gegenüber den Regierungen gewährleisten. Das erzwungene freiwillige Versprechen Duisenbergs, spätestens nach der Ausgabe der Euro-Münzen und -Scheine im ersten Halbjahr 2002 in den Ruhestand zu gehen, dürfte die Autorität des Holländers bei internationalen Verhandlungen erheblich schwächen.

Auf dem Euro-Gipfel in Brüssel wurde auch die von Bundesfinanzminister Theo Waigel vorgelegte Superstabilitätserklärung zum Stabilitätspakt in abgeschwächter Form verabschiedet. Hoch verschuldete Länder wie Belgien und Italien versprechen darin, zusätzliche Haushaltsmittel möglichst für einen schnelleren Schuldenabbau zu verwenden.

Trotz teilweise heftiger Kritik am EZB-Kompromiß wurde der Beschluß zur Währungsunion in Deutschland von den am Sonntag gesprächsbereiten Politikern und Wirtschaftsführern überwiegend positiv bewertet. Hans-Olaf Henkel vom Bundesverband der Deutschen Industrie begrüßte vor allem die Teilnahme Italiens und Spaniens. Die Währungsabwertungen dieser beiden Länder hätten der deutschen Industrie immer wieder Schwierigkeiten bereitet, weil sich dadurch die Exporte verteuerten. Das sei nun vorbei.

SPD-Chef Oskar Lafontaine forderte, den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ins Zentrum der europäischen Politik zu stellen. Es komme jetzt darauf an, die Chancen der Währungsunion auch zu nutzen. Nur ein „Euro der Arbeit und der sozialen Sicherheit“ könne dauerhafte Stabilität bringen, sagte Lafontaine in Bonn. Der Bundesgeschäftsführer der Sozis, Franz Müntefering, sah einen Bruch des Maastricht-Vertrages. Regierungsvertreter der EWU-Teilnehmer verteidigten dagegen den in der Nacht gefundenen Kompromiß.

Der Verband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken erklärte, der Reputation der EZB und damit auch den Voraussetzungen für einen positiven Euro- Start hätten die Staats- und Regierungschefs kaum einen schlechteren Dienst erweisen können. Der Präsident des EU- Parlaments, José Maria Gil-Robles, sagte, das „Baby Euro“ sei in schlechter Form zur Welt gebracht worden. Für den Chef- volkswirt der belgischen Generale Bank ist „der Schaden bereits angerichtet – die ganze Sache hinterläßt einen bitteren Beigeschmack“.

Der EU-Ratspräsident und britische Premierminister Tony Blair und EU- Kommissionspräsident Jacques Santer verteidigten den Kompromiß als vertragskonform. Bundesaußenminister Klaus Kinkel nannte die Euro-Einführung einen „Quantensprung“ in der Entwicklung Europas. Auch CDU-Generalsekretär Peter Hintze sprach von einem epochalen Werk.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärte in Garmisch-Partenkirchen, daß mit dieser Lösung der Skepsis der Menschen gegenüber der Stabilität des Euro kein entscheidender Riegel vorgeschoben worden sei. Die Verantwortung trage Frankreich, das mit aller Macht seinen eigenen Kandidaten durchsetzen wollte.

Alois Berger

Tagesthema Seite 3

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