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Victory Joe gegen Kumpel Robin Hood

Auf den Philippinen kämpfen die KandidatInnen im Präsidentschaftswahlkampf mit absurden Shows und allen Tricks. Das garantiert einen hohen Unterhaltungswert und macht die politischen Inhalte zur Nebensache  ■ Aus Manila Jutta Lietsch

„Victory Joe“ spannt die Muskeln und hebt ab. Die Beine wie ein Frosch angewinkelt, die Arme zum Siegeszeichen hochgerissen, hüpft er vor rund 100.000 wiedergeborenen Christen in die Luft. „Halleluja! Lobet den Herrn!“ Der absurde Sprung gehört zur Wahlkampfroutine des 61jährigen Präsidentschaftskandidaten José („Joe“) de Venecia, der sich an diesem Abend im Rizal-Park an der Bucht von Manila das Versprechen der großen evangelikalen „Jesus is Lord“-Bewegung einholt, ihn am 11. Mai zu wählen. „Geist der Gleichgültigkeit“, befiehlt die Erweckungspredigerin Schwester Edith am Mikrofon, „verschwinde von den Philippinen! Sofort! Geist der Armut, verschwinde vom philippinischen Volk! Im Namen Jesu! Hinfort! Es ist genug!“ Mit Gott und de Venecia, so hören die Gläubigen, ist Wohlstand für alle nicht mehr fern.

Zum zweiten Mal seit Ende der Marcos-Diktatur 1986 wählen die 70 Millionen Filipinos und Filipinas am kommenden Montag einen neuen Regierungschef. Doch obwohl der scheidende Präsident Fidel Ramos den Parlamentspräsidenten Joe de Venecia unterstützt – und sogar gemeinsam mit ihm in die Luft hüpft –, sehen dessen Chancen nicht rosig aus: Meinungsforscher plazieren ihn weit hinter dem Favoriten Joseph Estrada, der es vom Schauspieler zum Vizepräsidenten gebracht hat.

In seiner riesigen Villa in der Magnoliastraße verteidigt der Politiker, den nur seine Wahlhelfer „Victory Joe“ nennen, frustriert seine Siegeschancen. „Alles Betrug! Die Umfragen sind manipuliert! Ich werde gewinnen!“ faucht er. Sein Apparat sei der stärkste. Außerdem habe er die großen evangelikalen Bewegungen auf seiner Seite. Neben „Jesus is Lord“ unterstütze ihn auch die „Jesus Miracle Crusade“, deren Prediger mit Gottes Wort gebrochene Herzen, Armut und die El-Niño-Dürre heilen. Die Wirtschaft werde er weiter liberalisieren, die Landwirtschaft modernisieren und aus armen Bauern „Millionen von Millionären“ machen, versichert der ehemalige Geschäftsmann: „In 30 Jahren werden wir Japan, Deutschland und die USA überholen!“

Damit unterscheidet er sich wenig von den neun anderen PräsidentschaftskandidatInnen, die nach dem Rückzug der Diktatorenwitwe Imelda Marcos noch im Rennen bleiben. Verbrechen, Drogen und Entführerbanden wollen alle bekämpfen. Und alle versprechen, Ramos' Wirtschaftsreformen fortzusetzen, noch mehr Investoren ins Land zu locken und zugleich den Armen zu helfen. Im Foyer seiner Villa steht ein Hausaltar mit meterhohen Marien- und Jesusfiguren. Porträts an den Wänden künden davon, daß hier eine anständige christliche Familie wohnt. Allerdings: Gastgeber de Venecia ist wegen Frauenaffären und der Nähe zu Korruptionsskandalen verrufen.

„Wenn Estrada gewinnt, fürchte ich um die Zukunft meiner Kinder!“ warnt seine Ehefrau Georgina („Nennen Sie mich Gina“) vor einem Sieg des Rivalen. Sie ist eine stählerne Schönheit, die im Fernsehen Frauen- und Familienprogramme moderiert. Estrada sei zu schamlos mit seinen vier Nebenfrauen, unmoralisch und ein schlechtes Vorbild für die Jugend. Schlimmer noch: Dunkle Gestalten der Unterwelt würden mit ihm an die Regierung kommen. Gina läßt im Nebenraum ein Video zeigen: Da sitzt unverkennbar Vizepräsident Estrada mit seiner schwarzen Tolle, dem scharfen Bärtchen und dem verruchten Blick neben einem notorischen Drogenkönig und anderen Dunkelmännern am Bakkarattisch. Er zockt, obwohl Regierungsmitgliedern das Glücksspiel verboten ist. „Jeder weiß, daß sie ihn immer gewinnen lassen“, sagt Gina.

Auch Kardinal Jaime Sin, erprobter Kämpfer gegen Diktatur, Scheidungsrecht und Geburtenkontrolle, hat die fast 60 Millionen Katholiken des Landes bereits vor dem unfrommen Kandidaten gewarnt. „Der Kardinal mag mich eben nicht“, antwortet der Gescholtene gleichmütig: „Offen gesagt, das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Favorit Estrada, den sie „Erap“, den „Kumpel“, nennen, ist erfolgreicher Macho. Die Frauengeschichten, seine Leidenschaft für Hahnenkämpfe und Kartenspiel, die Vorliebe für teuren Whisky und zweifelhafte Nachtclubs und selbst Gerüchte über eine Leberzirrhose haben ihm bisher nicht geschadet. Im Gegenteil: „Er ist eben wie wir“, sagen die Leute.

Kurz vor Mitternacht im Gemeindezentrum des Örtchens Bago auf der Zuckerinsel Negros, Estradas letztem Stopp im Wahlkampf: Auf der Bühne macht er sich lustig über die Doppelmoral der politischen Elite in Manila, die nicht nur über seinen sündigen Lebenswandel die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, sondern auch lauthals darüber klagt, daß er ein schreckliches Englisch spreche und überhaupt viel zu dumm sei, um Präsident zu werden. „Wir können die Probleme dieses Landes nicht lösen, indem wir Englisch sprechen“, ruft er zum großen Vergnügen seines Publikums, „wir müssen die Wahrheit sprechen und nicht die großen Lügen!

Das kommt an: Estrada, Sohn einer wohlhabenden Familie, der sein Studium abbrach und als Schauspieler in über hundert populären Filmen den ehrlichen Gangster oder guten Underdog verkörperte, bevor er seine politische Karriere als Bürgermeister und Senator begann, hat seine Anhänger unter den Millionen von Armen. Seine Zuhörer sind Landarbeiter und Rickschafahrer, Händlerinnen und Mütter mit Kindern auf dem Arm. Sie sehen ihn ihm den Robin Hood, der von den Reichen nimmt und den Besitzlosen gibt. Sie können auch kein Englisch, wissen nicht einmal, wie sie ihren Kindern die Schule bezahlen sollen, und fühlen sich beschämt, wenn arrogante Kommentatoren in Manila sie abfällig als „the Great Unwashed“, – die Ungewaschenen – bezeichnen. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist nach Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank arbeitslos oder unterbeschäftigt. In einigen Regionen erreicht die Hälfte der Menschen nicht einmal ein als „Armutsgrenze“ bezeichnetes jährliches Einkommen von knapp 9.000 Pesos (450 Mark).

Wie in vielen Regionen der Philippinen herrschen auch hier auf Negros die alten Großgrundbesitzerfamilien noch wie feudale Fürsten. Estrada lehnt nach einem Duett („...to love somebohody, to love somebohody...“) mit der beliebten Sängerin Nora Aunor am Rednerpult. Er erzählt von seiner Zeit als Bürgermeister in San Juan, einem Stadtteil Manilas, wo er Schulen und Geburtskliniken baute und den Armen eine würdevolle Beerdigung zahlte. „Die sogenannten Intellektuellen und die Politiker haben uns verlacht“, sagt er, „aber ich habe eure Sorgen verstanden, als ich von Slum zu Slum zog. Ihr seid meine Lehrer, deshalb will ich euch dienen.“

Er verspricht, Drogenhändlern und korrupten Polizisten das Handwerk zu legen. Er will billige Wohnungen bauen und dafür sorgen, daß die Bauern wieder genug philippinischen Reis haben, „der, wie wir alle wissen, besser schmeckt als importierter“. Es ist eine einfache, eingängige Rede in der Nationalsprache Tagalog, gewürzt mit Scherzen, bei denen er sich selbst auf den Arm nimmt. Felicidad Villareal, Tochter eines Parlamentspräsidenten, ehemalige Nonne und Aktivistin gegen die Marcos-Diktatur, die sich in der Bauernbewegung engagiert, gehört zu jenen Linken, die nun die orange Weste der Estrada- Partei angezogen haben. Die Wahlhelferin ist überzeugt, daß Estrada der einzige Kandidat ist, der den Armen wirklich helfen will: „Er meint es ernst.“ Seine fehlende Bildung und die Wissenslücken in der Wirtschaft werde sein Beraterstab aus Ökonomen, Universitätsprofessoren und erfahrenen Politikern ausgleichen.

Am 11. Mai werden nicht nur der Präsident und sein Vize gewählt. Insgesamt sind über 17.000 Posten im Senat und im Kongreß, in Provinzparlamenten und Rathäusern zu besetzen. Der Wahlkampf ist so bunt und verwirrend wie die philippinische Demokratie: Da verbünden sich steinreiche Günstlinge des Marcos-Regimes mit Vorkämpfern für Menschenrechte. TV-, Film- oder Basketballstars bewerben sich für die erstaunlichsten Ämter. Auf Estradas Liste kandidiert der frühere Guerillapriester Conrado Balweg für das Parlament. Tessie Aquino, die Schwester des unter Marcos ermordeten Oppositionspolitikers Ninoy, dessen Witwe 1986 Präsidentin wurde, will mit Estradas Hilfe in den Senat einziehen. Horacio „Boy“ Morales, einst Chef der kommunistischen „National Democratic Front“, und der radikale linke Priester Edicicio de la Torre gehören ebenfalls zu seinem 31köpfigen Beraterteam. Beide saßen unter der Marcos-Diktatur jahrelang in Haft.

Am anderen Ende des Spektrums sitzen nicht nur konservative Ökonomen und Professoren, umstrittene Geschäftsleute und vermeintliche Drogenhändler, sondern auch Großgrundbesitzer wie Eduardo „Danding“ Cojuangco, auf dessen 100 Hektar großer Hazienda Balbina der Kandidat am Nachmittag zu Gast ist, bevor er zu den Armen geht. Danding hofft, unter einem Präsidenten Estrada sein unter Marcos gescheffeltes Milliardenvermögen zurückzuerhalten, das seine Kusine, Präsidentin Cory Aquino, teilweise beschlagnahmen ließ.

Doch noch ist Estrada nicht gewählt. In Manila kämpft nicht nur sein Rivale de Venecia unermüdlich um jede Stimme. Auch der Ex- Polizist und Bürgermeister von Manila, „Dirty Harry“ Alfredo Lim, gibt noch nicht auf: Ihn unterstützen die katholische Kirche ebenso wie Ex-Präsidentin Aquino. Er machte sich einen Namen als harter Verbrechensbekämpfer, weil er Bordelle im Stadtviertel Ermita schließen ließ, die Türen mutmaßlicher Drogenhändler eigenhändig mit roter Farbe kennzeichnete und seine Polizisten Verdächtige lieber erschossen, als sie vor den Richter zu bringen.

Niemals hat es in der Vergangenheit eine ehrliche Wahl gegeben, und der 11. Mai dürfte keine Ausnahme bilden. Die Zeitungen berichten bereits von „Dagdag- bawas“: Stimmenkauf, gefälschten und geraubten Wahlzetteln. „Es wird sehr knapp“, sagt in Manila der Professor und ehemalige Marxist Alex Magno, der inzwischen Berater von „Victory Joe“ ist. Doch Magno ist zuversichtlich: Wer viel Geld und einen starken Parteiapparat hat, kann die Provinzfürsten und lokalen Warlords „kaufen“. Sie werden ihren Untertanen befehlen, welche Namen sie in die Wahllisten eintragen müssen, meint Magno. „Ich wähle Joe de Venecia!“ ruft in der untergehenden Sonne an der Bucht von Manila ein Prediger von „Jesus is Lord“ in sein Mikrofon. „Oh, verzeiht, ich habe mich hinreißen lassen, ich wollte eigentlich beten.“

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