: Mordende Seelöwen
Eine Cartoon-Ausstellung wirbt im Bezirksamt Nord für besseren Umgang mit Tieren ■ Von Martin Pfitzner
Die Lehrerin steht an der Tafel. „Wer nennt mir ein Beispiel für Umweltverschmutzung?“, fragt sie die Klasse. Die Antwort eines Schülers kommt prompt: „Die Sardinendose. Voller Öl und die Fische sind alle tot.“ Solche und ähnliche Bilder hängen derzeit in der Eingangshalle des Bezirksamtes Nord. Sie gehören zu einer Ausstellung des Berliner Zeichners Steffen Jahsnowski, die die Tierrechtsorganisation „die Tierbefreier“ organisiert hat.
Die etwa 20 Cartoons sollen über Tierleid aufklären und versuchen, „eine neue Ethik zu vermitteln, die das Lebensrecht der Tiere nicht mißachtet“, sagt Markus Schaak, Sprecher der „Tierbefreier“. Die Zeichnungen sind teils traurig, teils lustig, mal bissig und mal todernst. Wie die mit den beiden Seelöwen, die in einem Boot sitzen. Mit Spitzhacken schlagen sie auf einen Menschen ein, der blutüberströmt und schreiend im Wasser liegt. „Los, zerhack ihm den Schädel“, sagt der eine Seelöwe zum anderen. „Aber paß auf, die Geschlechtsteile brauchen wir noch.“
Quälerei, weiß die Tierrechtsorganisation, fängt schon da an, wo Tiere für die Nahrungsproduktion gezüchtet werden: Rund 40 Millionen Schweine würden in Deutschland jährlich geschlachtet, heißt es in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Tierbefreiung aktuell. Etwa ebensoviele Legehennen seien in kleinen Käfigen zusammengepfercht. Außerdem würden mindestens sechs Millionen Wildtiere jedes Jahr von deutschen Jägern abgeschossen. 40.000 bis 100.000 Tiere, schätzt die Organisation, sterben täglich in deutschen Versuchslaboratorien.
Die Wut des Künstlers über diesen Umgang mit Tieren ist in den Cartoons deutlich spürbar: Eine Pelzmantelträgerin hängt blutend in einem Fangeisen, ein Hase und eine Robbe lachen sie aus. Dennoch finden die Bilder im Bezirksamt kaum Beachtung. Ohne die Ausstellung eines Blickes zu würdigen, durchqueren die meisten BehördenbesucherInnen das Foyer. Einmal bleibt eine Frau für ein paar Sekunden vor einem Bild stehen – um noch ein paarmal an ihrer Zigarette zu ziehen, bevor sie ein Amtszimmer betritt.
Eine andere Frau, die dem Ausgang der Halle zustrebt, bleibt, auf die Ausstellung angesprochen, irritiert stehen. Nein, die Cartoons seien ihr nicht aufgefallen. Sie habe es eben eilig. „Mit den Ämtern ist es doch so: Da ist man froh, wenn man schnell wieder draußen ist.“ Für neue Ethik und Grübeleien über das Lebensrecht der Tiere bleibt da keine Zeit.
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