: Ein Kneipenplatz auf jeden Einwohner
■ Mitte püft Steuerungsmöglichkeiten für die Ansiedlung weiterer Kneipen in der Spandauer Vorstadt. Studie des Sanierungsbeauftragten empfiehlt Beschränkung auf bereits stark frequentierte Straßen, begle
Die Anzahl der Kneipen in der Spandauer Vorstadt steigt und steigt. Zugleich wächst das Konfliktpotential zwischen EinwohnerInnen und Lokalbetreibern. Um der Entwicklung Herr zu werden, prüft der Bezirk Mitte derzeit, ob mit der Aufstellung von Bebauungsplänen die Ansiedlung von Kneipen gesteuert werden kann.
Sie heißen „Astor“, „Doughnuts“, „Schwarzenraben“ oder „Yo soy“: 99 gastronomische Einrichtungen wurden Ende 1997 rund um die Hackeschen Höfe gezählt, und es werden immer mehr. Rein rechnerisch gibt es auf jedem sechsten Grundstück eine gastronomische Einrichtung, in „Durchgangsstraßen“ alle 47 Meter ein Restaurant, in „Wohnstraßen“ alle 106 Meter. Mit fast 7.000 Plätzen entfällt auf fast jeden der 7.294 Anwohner der Spandauer Vorstadt ein Kneipenplatz. Doch was Touristen genießen, kann für Anwohner zur Belastung werden.
Das Koordinationsbüro des Sanierungsbeauftragten des Landes Berlin ging deshalb in einer Studie, die der taz vorliegt, der Frage nach, „wie viele Restaurants und Gaststätten die Spandauer Vorstadt noch verträgt“, ohne die Wohnfunktion des Gebiets nachhaltig zu beeinträchtigen. Zugrunde liegt der Studie eine Befragung von Anwohnern. Die Umfrage ergab ein sehr breites Meinungsspektrum: Von „Sollen an den Stadtrand ziehen“ bis „Fördert Zusammenwachsen von Ost und West“ oder „Trinke gern“ reichten die Kommentare. Als Negativauswirkungen wurden vor allem Lärmbelästigung nachts und im Sommer, Müllprobleme und Verunreinigung („Besoffene, die in meine Badewanne pinkeln“), die Verdrängung von Einzelhandel und Nahversorgungseinrichtungen sowie fehlende Parkplätze benannt. Doch obwohl sich immerhin 56 Prozent der Befragten durch die Restaurants beeinträchtigt fühlen, wird gleichzeitig die Situation von 26 Prozent als sehr gut, von 30,8 Prozent als gut und von 37 Prozent als “teils, teils“ beurteilt.
Doch die Autoren der Studie weisen nachdrücklich darauf hin, daß sich das Meinungsbild schon bald verändern könnte: Denn befragt wurden die Anwohner zur gegenwärtigen Situation. Zu den 99 Kneipen kommen aber weitere 34 hinzu, die bereits in Bau, genehmigt oder beantragt sind. Und die neuen Restaurants werden immer größer: Während sich der Kneipenbestand um 34,1 Prozent vergrößert, wird das Angebot an Sitzplätzen im Innenbereich um 55 Prozent steigen. Damit, so die Autoren, wachse das Konfliktpotential nicht linear, sondern exponentiell. Drei Szenarien entwickelte die Studie: erstens, rigoros keine Kneipen mehr zuzulassen, sie zweitens nur noch an jetzt schon stark frequentierten Straßen zu genehmigen oder aber drittens gar nicht einzugreifen. Das Koordinationsbüro empfiehlt Szenario zwei, begleitet von einer öffentlichen Diskussion. Jedoch vertrage diese keinen Aufschub, denn „soziale Polarisierungs- und Veränderungsprozesse benötigen längere Zeiträume, um sich zu manifestieren“. Ulrike Steglich
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