Kaufkraft heute geringer als 1980

In Deutschland wächst die Zahl der Armen, bilanziert die Nationale Armutskonferenz. In Ostdeutschland ist die verdeckte Armut besonders groß. Für ihr Einkommen können Arbeitnehmer sich weniger leisten  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die Nationale Armutskonferenz (NAK) hat gestern in Bonn die wachsende Armut in Deutschland angeprangert. Seit der Wiedervereinigung wachse die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr an, sagte NAK-Sprecher Walther Specht. Zu den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern kämen noch etwa zwei Millionen Arme – darunter insbesondere viele Haushalte mit Kindern – hinzu. Die Nationale Armutskonferenz ist ein Zusammenschluß von 13 Wohlfahrtsverbänden, wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften und dem DGB.

Nach Erkenntnis der NAK hat sich der Anteil der reichen Haushalte, die mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdienten, im Westen von vier auf fünf Prozent erhöht, während die untersten Einkommenschichten von dieser Entwicklung abgekoppelt sind. Einer Studie des DGB zufolge fiel die Kaufkraft je Arbeitnehmer 1997 im Westen um 2,2 Prozent unter den Stand von 1980. 3,4 Prozent der Bevölkerung lebten zum Teil trotz Erwerbstätigkeit unter der Sozialhilfeschwelle, machten ihre Ansprüche aber nicht geltend.

Gerade in Ostdeutschland sei die verdeckte Armut besonders groß. Auf zehn Sozialhilfeempfänger kämen 17 Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Von der Armut seien auch immer mehr Kinder „in relativ normalen“ Familienverhältnissen betroffen. Etwa eine Million lebten mit ihren Eltern von der Sozialhilfe. Besonders Langzeitarbeitslose würden zunehmend in die Armut gedrängt. Die Arbeitslosenhilfe werde jährlich um drei Prozent abgesenkt, und das, obwohl die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe schon jetzt nur unwesentlich über dem Niveau der Sozialhilfe liege.

Die NAK kritisiert, daß immer mehr Menschen über das Instrument der Hilfe zur Arbeit die Inanspruchnahme der Sozialhilfe verweigert werde. Das Fegen von Laub, das Schneeräumen oder das Ausheben kilometerlanger Gräben trage aber nicht dazu bei, die soziale Ausgrenzung abzubauen und die Chancen zur Integration in den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Nach Einschätzung der Nationalen Armutskonferenz kommen nur 20 bis 25 Prozent der Sozialhilfeempfänger aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes für solche Arbeiten in Frage. Die Mißbrauchsquote betrage lediglich zwischen zwei und fünf Prozent. Viel höher sei aber die Zahl derjenigen, die aus Scham oder Unkenntnis nicht einmal ihre Ansprüche geltend machten.