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Verschwundene in der Colonia Dignidad?

■ Aktuelle Fotos aus der Sekte sollen seit den 70er Jahren vermißte Chilenen zeigen

Buenos Aires (taz) – Auf den Bildern des Fotografen der Zeitschrift Ercilla sind die Männer nur schwer zu erkennen. Sie sitzen auf einem Lastwagen in der berüchtigten deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Südchile und haben wegen der Sonne ihre Schildmützen tief ins Gesicht gezogen. Doch Angehörige sind sich ganz sicher: Sie wollen auf den Bildern Verwandte erkannt haben, die während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973–1990) spurlos verschwunden sind.

Humberto Lagos, Sektenberater beim Innenministerium, bestätigte, es gebe Vorwürfe, daß Häftlinge, die 1978 verschwunden waren, zur Strafarbeit in die Colonia Dignidad verschleppt worden seien. Ein sozialistischer Abgeordneter forderte im chilenischen Fernsehen, die Fotografierten sollten sich vor einem Richter präsentieren und ihre Identität beweisen. Die Regierung schickte einen Sonderbeauftragten zum Gericht nach Parral, wo gegen die Colonia Dignidad ermittelt wird. Die sozialistischen Abgeordneten Sergio Aguilá und Fanny Pollarolo stellten außerdem einen Strafantrag wegen Entführung gegen die Colonia Dignidad.

Für ihren Parteikollegen José Antonio Viera-Gallo wäre es ein „moralisches Erdbeben“, wenn tatsächlich noch verschwundene Pinochet-Gegner in der Colonia Dignidad gefangengehalten würden. Der sozialistische Vizepräsident des Unterhauses, Jaime Naranjo, hielt die Hinweise auf überlebende Verschwundene in der Kolonie zwar für sehr dürftig, doch sei es durchaus möglich, daß dort tatsächlich noch immer Menschen festgehalten würden. Colonia-Dignidad-Flüchtlinge hatten immer wieder geschildert, daß in die Siedlung Verschleppte so harte Folter erleiden mußten, daß sie danach wie „Roboter“ handelten.

Währenddessen hat die Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles, Gladys Marin, dem Hochkommissariat für Menschenrechte einen Brief übergeben, in dem sie fordert, die Vereinten Nationen sollten das Schicksal der in die Colonia Dignidad verschleppten Gefangenen aufklären. Marin hält eine Rettungsaktion für sie nötig und fordert die UNO auf, sofort aktiv zu werden.

Nur wenige Tage zuvor hatte die Polizei ihre mehrwöchige Anwesenheit auf dem Sektengelände unverrichteterdinge beendet. Wieder einmal konnte sie den Sektenchef Paul Schäfer nicht finden. Der 77jährige wird wegen Vergewaltigung von Minderjährigen von der Polizei gesucht. Beobachter vermuten, daß er sich noch immer in der Colonia Dignidad versteckt hält. Die Siedlung verfügt über ein ausgetüfteltes Tunnelsystem. Ingo Malcher

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