Kunst statt Wischmop

■ Produkte der Blindenanstalt sind zeitlos, doch mit etwas Design weniger unzeitgemäß

Das Gebäude der Blindenanstalt von Berlin in der Oranienstraße 26 strahlt im hellocker Klinkergewand. Körbe, Besen, Fußmatten und Bürsten ruhen in den eigenwillig dekorierten Schaufenstern und laden zum Verweilen ein. Die darin befindlichen Haushaltsgegenstände werden in den Werkstätten der Blindenanstalt aus verschiedenen Naturmaterialien wie Weidenruten, Roßhaaren und Kokosfasern gefertigt.

Doch leider sind die angebotenen Haushaltsgegenstände zwar praktisch und von herber, zeitloser Schönheit. Das potentielle Käuferpublikum zieht aber den Kunststoff-Wischmop aus dem Kaufhaus vor. Zudem darf die Blindenanstalt aufgrund eines Gesetzes keine Werbung für ihre Produkte betreiben. So strahlt denn auch das Schaufenster der Institution eine Souveränität aus, der vielleicht nur unkonventionelle Zeitgenossen etwas abgewinnen können. Kein Wunder, daß sich in den letzten Jahren einige Künstler von dieser Ästhetik angezogen fühlten und daraus Projekte entwickelten.

Zuletzt war es die Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn. Sie ließ sich von der Blindenanstalt einige Objekte für eine Ausstellung herstellen. In der Kunstwelt selbst fällt die distanzierte Auseinandersetzung ohne Einbeziehung des sozialen Kontextes auf fruchtbaren Boden. Landen soll das Kunstprodukt schließlich als Schuhbürste gewordene Kunsttheorie im Kunstkatalog, nicht in der Wohnung einer Kreuzberger Hausfrau. Die Aufladung des Kunstobjekts besorgt allerdings nicht zuletzt die sonderbare Ästhetik der irgendwie geschmacksfreien Blindenanstalt.

Konsequenter- wie ungerechterweise haben die bisher stattgefundenen Künstlerprojekte auf die Institution selbst nie nachhaltigen Einfluß ausgeübt. Die blinden Mitarbeiter jedenfalls können sich an die Künstler nicht erinnern.

Das Designstudio Voigt + Weizenegger — direkt gegenüber der Blindenstalt gelegen — hat nun ein Konzept entwickelt, das Institution und Produkte umfaßt und den stagnierenden Absatz durch diverse Marketingkonzepte ankurbeln soll. Gemeinsam mit Design- Studenten der HdK und der Fachhochschule Potsdam sind sie darangegangen, den Produkten der Blindenanstalt ein ansprechendes Image zu verschaffen. Doch auch neue Produkte sollen entwickelt werden. „Weinflaschenhalter aus Kokosfasern sehen gewiß sehr ansprechend aus und sind überdies funktional“, meint Initiator Hermann Weizenegger. Beuys' Idee des erweiterten Kunstbegriffs sei eben auch für Designer hoch interessant, fügt Kollege Oliver Voigt hinzu.

An den vorhandenen Werkmaterialien und ihren Möglichkeiten möchte das Team eine ganze Palette innovativer Haushalts- und Gebrauchsgegenstände entwickeln. Der Leiter der Blindenanstalt, Peter Bergmann, war von der Initiative sehr angetan und bot dem Projekt sogleich einen Arbeitsraum im Haus an. Bergmann: „Für unsere Mitarbeiter ist es natürlich motivierend, wenn die von ihnen hergestellten Produkte auch gekauft werden!“

Die Schaufenster werden nun im Zwei-Wochen-Rhythmus umdekoriert: eine Art offenes Tagebuch, das den jeweiligen Stand des Projektes anzeigt. Auch die erste Werbeidee ist bereits entworfen: Auf einem handgefertigten Besen reitet ein Potsdamer Designstudent die Oranienstraße entlang. Das Foto wurde vor den Fenstern der Blindenanstalt aufgenommen, das Motiv dann ausgeschnitten und in den Himmel überm Potsdamer Platz montiert. Wolfgang Müller