: Das Evangelium des Guildo Horn
„Guildo hat euch lieb“ – das fängt ja gut an. Geradlinig. Da sagt einer, wer er ist, redet nicht lange herum, spricht uns an. Gleichzeitig kommt er soft daher, musikalisch wie textlich, nimmt uns mit – nein, er kommt sogar zu uns: „Und wenn's mal Tränen gibt, kommt er rüber und singt für euch Lieder.“
Welche Symbolik in diesen Zeiten der Kälte und der Vereinsamung: Da kommt einer zu uns wie ein mobiler Seelenpflegedienst, bringt Gemütsnahrung für alle, die da mühselig und beladen sind. Und nach dieser melodischen, beinahe zärtlichen Anfangsanmutung kommt der Hammer. Musikalisch gesehen.
Da bricht urwüchsige Kraft sich Bahn, hier antwortet gleichsam Beethoven auf Schumann, hier ringt Dynamik nach Ausdruck, die zentrale Botschaft setzend: „Es gab eine Zeit, eine Zeit voller Zärtlichkeit, da wurde Knuddeln und Knutschen und Liebe, immer großgeschrieben.“ Das ist die frohe Botschaft, das Evangelium des Guildo Horn, und völlig zu Recht mündet diese Strophe in den Kinderreim „Piep, piep, piep, ich hab' dich lieb“. Da scheint der Glanz einer fast vergessenen Welt in unser kaltgeronnenes Leben, der Glanz der Glitzerbildchen, die man ins Poesiealbum klebte.
Jeder Versuch, Guildo Horns Werk an den Herausforderungen der modernen Welt zu messen, macht sich lächerlich – er unterläuft die Komplexität dieser Welt durch Evokation eines Gegenbildes, das in unser aller Herzen ruht, das nur darauf wartete, von ihm geweckt zu werden. Hier leistet die soziologisch orientierte Textanalyse gar nichts, hier ist Immanenz gefragt, hier müssen wir uns einschmiegen in den Strom von Text und Musik, um zu begreifen, was uns ergreift. Und dann zeigt sich jählings: Im Rekurs auf den Glanz vergangener Zeiten ist Guildo Horn auf der Höhe der Zeit.
Wenn es im Text weitergeht mit: „In meiner kleinen Welt, in der der eine zum and'ren hält, und in der deine Tränen nicht lügen, lernen deine Träume fliegen“, dann möchte man spontan ausrufen, daß nichts stimmt, kein Rhythmus, kein Versmaß, kein Reim. Auf einer höheren Ebene stellen wir indes verblüfft fest, daß hier Dichtkunst in bemerkenswerter Perfektion statthat. Hier bricht strukturell die Gebrochenheit der modernen Welt ein in die poetische Idylle.
Er ist kein naiver Romantiker, der uns ein Spitzweg-Gemälde als Wirklichkeit vorsetzen will. Guildo Horn steht mitten in dieser Welt, da bricht und birst es, da rumpelt und humpelt die Sprache, will zu sich kommen und kann sich doch nicht finden in und zu der Süßlichkeit, die sie eigentlich anstrebt.
FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle hat in Guildo Horn das Phänomen Gerhard Schröder erkannt. Er meinte damit Unverbindlichkeit, Glamour, Medieninszenierung. Nein, im Gegenteil verkörpert er Lebendigkeit, Gemeinschaftssinn, Genußprinzip – und entspricht damit dem Phänomen Ludwig Erhard, der wahren Repräsentanz der fünfziger Jahre.
Und das ist angesichts der obwaltenden kulturellen Hegemonie des Bedeutungslosen, um nicht zu sagen des nichtenden Nichts, mehr, als wir vom deutschen Schlager zu hoffen gewagt hätten. Peter Zudeick
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