piwik no script img

Totale Kehrtwende im Innenressort

■ Borttscheller wird strengere Maßstäbe zum Schutz der Persönlichkeitsrechte erlassen / Höherer Datenschutz, wenn Journalisten fahnende Polizisten begleiten / Anlaß: Der „Fall Stradivari“

Ein Film wie „Der Fall Stradivari“ dürfte heute nicht mehr so gedreht und gezeigt werden, weil dabei in mehreren Szenen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Das geht aus einem Schreiben des Innensenators an den Datenschutzbeauftragten hervor. In dem Film von Radio Bremen Buten & Binnen wurde die Arbeit der Kripo bei den Ermittlungen nach dem Tod der bekannten Bremer Geigenlehrerin Grevesmühl im Stile von „Reality-TV“ gezeigt. Damit hat das Innenressort eine vollkommene Kehrtwendung vollzogen. Zur Frage, welche Veranwortung Ermittler haben, wenn sie Medienvertreter bei Hausdurchsuchungen in aufgebrochene Wohnungen und in die Obduktionskammer mitnehmen oder auf dem Flur vor einem Vernehmungszimmer horchen und filmen lassen, hatte das Innenressort bisher die Position vertreten: „Die Beachtung der Persönlichkeitsrechte (...) obliegt gundsätzlich den Medien selbst“. Der betroffene Buten & Binnen-Journalist hatte sich derweil darauf berufen, daß die Polizei ihm alles erlaubt habe. Zumindest der Geigenschüler Basile D., der in dem Film als verdächtiger Anstifter erscheint, hatte vor dem Hamburger Landgericht mit Erfolg die Respektierung seiner Persönlichkeitsrechte eingeklagt und dem Sender die Ausstrahlung der betreffenden Szenen untersagen lassen.

Der Anwalt des Marin B., der gestanden hat, der Geigenlehrerin ihre teure Stradivari auf der Treppe des Bahnhofs Vegesack entrissen zu haben, hatte keinen Anlaß gesehen, die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten gerichtlich geltend zu machen. Heute müßte aber in einem solchen Falle der Polizeipräsident z.B. das öffentliche Verlesen aus polizeilichen Fahndungs-Registern unter Nennung der betoffenen Person untersagen. Denn während Innensenator Borttscheller im Herbst 1997 in einem Brief an den Datenschutzbeauftragten „keine Notwendigkeit für den Erlaß neuer Regelungen“ sah, hat er nach dem letzten Protest der Datenschützer (vgl. taz 12.3.98) nun eine sehr detaillierte und strikte Regelung vorbereitet. In Zukunft sollen sich Journalisten, die die Polizei bei Ermittlungen begleiten, ausdrücklich verpflichten, „Persönlichkeitsrechte und datenschutzrechtliche Belange (...) sorgfältig zu beachten“, und zusätzlich die „Endfassung“ des vorgesehenen Beitrages dem Polizeipräsidium vorzulegen. Aus Gründen des Datenschutzes oder des Persönlichkeitsrechts „beanstandete Teile des Materials dürfen nicht gesendet werden“.

Eine weitere Regelung hätte der Datenschutzbeauftragte gern in der Erklärung gesehen: Wenn jemand der Polizei die Tür öffnet und sich dabei ein Journalist hineindrängelt, sollte, so der Datenschutzbeauftragte, die Polizei den Betroffenen über sein Recht informieren, dem Journalisten den Zutritt zu verweigern. Dies will aber der Innensenator der Polizei nicht abverlangen. Die Betroffenen müßten das in der Situation selbst wissen.

Für den Justizsenator soll diese neue Regelung nicht gelten. Der hatte allerdings von sich aus den betroffenen Staatsanwalt darauf hingewiesen, daß Filmaufnahmen bei der Obduktion einer namentlich bekannten Person die Persönlichkeitsrechte verletzten.

Hintergrund des Umdenkens im Innenressort dürfte sein, daß die Staatsanwaltschaft nach langwierigen internen Vorgängen im Polizeihaus nun vor dem Abschluß des Ermittlungsverfahrens gegen die betroffenen Polizisten sowie den Fernsehjournalisten steht. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen