■ Nachschlag
: Plektrumlöcher im Holz – Willie Nelson in der Columbiahalle

Country ist die Hintergrundmusik für Saufgelage von stiernackigen Reaktionären und spießigen Hinterwäldlern. Gegen dieses in Deutschland weitverbreitete Klischee, an dem ja ein bißchen Wahres ist, kämpfte Willie Nelson am Freitag in der gutgefüllten Columbia-Sporthalle an. An der Bühnenrückwand hing eine riesige texanische Flagge, die einzige Zierde in dem nüchternen Saal. Aber derartig karge Räume sind nichts Ungewöhnliches für den Troubadour aus Texas, der einst Nashville verließ, weil der dortige Kommerz ihm zu verwässert war, der in Austin zum „Outlaw“ der Country-music wurde und dort als erster schwitzende Biertrinker und kiffende Hippies vereinte.

Unprätentiös stand er auf der Bühne: schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, ein rotes Stirnband um die brünetten Haare, die in zwei langen Zöpfen herunterhingen. Ein weißer Bart umrandete das zergerbte Gesicht, dem allerdings nicht anzusehen war, daß er gerade erst am 30. April seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Seine akustische Martin-Klassikgitarre sah noch abgenutzter aus, neben dem Schalloch hatte das Plektrum ein zweites Loch durch jahrelanges Spielen ins Holz gerissen. Der Zigeunerjazz von Django Reinhardt, die Bluesakkorde von B.B. King und der Honkytonk-Stil von Lefty Frizell waren stilbildende Einflüsse, die Nelson zu einem unverwechselbaren Mischmasch vermengte, den er in längeren Soli oder Instrumentalnummern vorführte.

Auch sein Repertoire war ungewöhnlich für einen Country-Sänger. Ein Drittel schöpfte er aus dem Fundus alter Jazzsongs und dem sogenannten American Songbook der vergangenen „Tin Pan Alley“-Ära: „Georgia On my Mind“ gehörte dazu wie auch „All Of Me“ und „Blue Skies“ – übrigens seine meistverkauften Platten. Da begeisterten seine starken Texte von „Crazy“ und „Funny How Time Slips Away“, die andere zu Hits machten, sowie zu Popklassikern gewordene Songs wie „Help Me Make It Through The Night“ und „Me And Bobby McGee“. „Me And Paul“ war Nelsons Referenz an seinen langjährigen Schlagzeuger Paul English. Er sang Kokomo Arnolds „Milkcow Blues“ und rief „Little sister, play the blues“ zu seiner hinter dem Stutzflügel fast unsichtbaren Schwester Bobbie.

Zwei seiner größten Hits waren erst kürzlich wesentlich besser in Berlin zu hören: „Always On My Mind“ von Maxine Weldon in „Wild Women Blues“ und „Nightlife“ von B.B. King. Hier wurde Nelsons größtes Manko offensichtlich, seine fast emotionslose Stimme in fast immer gleicher Tonlage. Die wirkte nach zweieinhalb Stunden dann doch etwas ermüdend. Norbert Hess