piwik no script img

Es ist doch kein Meister vom Himmel gefallen

■ Während die wahre Guildo-Gilde dem Meister vor dem heimischen Fernseher huldigte, feierten Tausende Berliner ohne Schlaghosen und Perücken auf Parties Guildo Horns Auftritt beim Grand Prix

„Deutschland, Deutschland, Deutschland!“ grölt Klaus Schmidt. „Schalalala, Schalalala“, antworten seine zehn Kumpels im Chor. Polizist Schmidt will an diesem Samstagabend mal so „richtig Party machen“. Doch die restlichen siebenhundert Schlachtenbummler bei der Grand-Prix- Übertragung im Tränenpalast wollen nicht so recht mitziehen. Sie schwitzen, warten und schweigen – bis zur Startnummer acht. Auf der Riesenleinwand reckt Dana International aus Israel die Arme betont weiblich nach oben. „Dummdideldei, Arschfickerei!“ ruft Schmidt. „Wat'n dit für eene?“ fragt einer der Beamten mit Schweißperlen auf der Stirn einen Kollegen mit Schnäuzer. „Dit is ne Transe, Alter“, antwortet der Schnauzbart.

Gleich ist es soweit. Der kleine Vorfilm zeigt einen Schmelzofen, glühenden Stahl, Fabrikhallen. „Meister, Meister, Meister!“ brüllen die Staatsbediensteten. Von dem Stahlfilm ist kein Wort zu verstehen. Dann fegt Guildo auf der Leinwand über die Bühne, alle Arme recken sich in die Höhe, Klaus Schmidt fängt an zu hüpfen. In Birmingham springt der Meister mit wehenden Haaren auf eine Art Schiffsausguck am Rande der Bühne, klammert sich an einen Mast und schmettert „Piep, piep, piep, Guildo hat euch lieb“. Der Schnauzbart knufft die Schweißperle in die Seite: „Geil, wa?“ Jetzt haben sich auch die letzten von ihren Sitzen erhoben und singen den Refrain mit. „Piep, piep, piep.“ Und noch einmal. Und noch einmal. Dann sind die drei Minuten um, der Meister winkt in die Menge, und Klaus Schmidt ruft: „Guildo siegt in Birmingham!“

Nur die Fotografen sind unglücklich. Sie irren auf der Suche nach der Guildo-Bewegung durch den dunklen und schweißnassen Tränenpalast. Vergebens. Eine Perücke, zwei Sonnenbrillen und ein Guildo-Fan-T-Shirt. Das ist alles. Den Kollegen im 500 Meter entfernten Tempodrom geht es auch nicht besser. Ein Rüschenhemd, ein blauer 70er-Jahre-Anzug, eine runde Sonnenbrille. Ein Guildo- Shirt-Träger wird gleich dreimal abgelichtet. Dabei ist er nicht einmal Guildo-Fan, sondern SFB-Reporter. Überhaupt scheint von den dreitausend Besuchern im Tempodrom keiner Guildo so richtig liebzuhaben. Den schlagerbegeisterten Homos gefallen weder Bauch noch Haare. Ein Charlottenburger in raschelnder Jogginghose ist nur „zur Beobachtung“ da und einer mit Bierbauch wegen seiner Kumpels. Nur die 11jährige Anna, die ihre Eltern mitgeschleppt hat, findet Horn toll: „Erstens ist er so schlampig wie ich, und zweitens ist er intelligent.“

Ob im Tempodrom, im Tränenpalast, im Zoo Palast oder bei der PDS-Party – „Piep, piep, piep, Guildo hat euch lieb“ ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Schar der Partybesucher bringen läßt. Auch in Berlins Schlagerkneipe Nummer eins, dem „Konrad Tönz“ in Kreuzberg, drängen sich viele, die Guildo und den deutschen Schlager erst vor ein paar Tagen entdeckt haben. „Guildo finde ich sogar ein bißchen eklig“, sagt Caroline Herzog, 29. Trotzdem starren alle gebannt auf den kleinen Schwarzweißfernseher zwischen Nierentischen und rosa Plüsch, als die Abstimmung beginnt. Dann die ersten Punkte für den Meister – aus Griechenland. Jubel, Applaus, „Auf die Griechen ist Verlaß!“-Rufe. Drei Minuten später volle 12 Punkte aus der Schweiz. Kommentar von vorne: „Na bitte, er schafft's noch.“ Doch Guildo schafft es nicht, und Dana International stimmt ihre Siegeshymne „Diva“ an. Der Abspann flimmert über die Glotze, der DJ legt deutsche Schlager auf. „Griechischer Wein“ scheppert aus den Boxen. So richtig zufrieden mit Guildos siebentem Platz ist nur Mario Pappito, 25. Er arbeitet für die Plattenfirma des Produzenten von Guildo Horn. „Ein Glück ist der nicht Erster geworden“, sagt er. „Das hätte er nie wieder toppen können, und es wäre mit der ganzen Guildo-Welle in zwei Monaten vorbei gewesen.“ Christian Haase

Siehe Seiten 1 und 13

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen