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Von der Spaltkunst

■ Via Lewandowsky und Durs Grünbein zeigen im Deutschen Museum Bonn den Zusammenhang von "Art & Brain" Von Elke Buhr

Von Elke Buhr

Des Künstlers Hirn

Was du bist, steht am Rand / Anatomischer Tafeln. / Dem Skelett an der Wand / Was von Seele zu schwafeln / Liegt gerad so verquer / Wie im Rachen der Zeit / (Kleinhirn hin, Stammhirn her) / Diese Scheiß Sterblichkeit.

(Durs Grünbein: „Schädelbasislektionen“)

Vor der Tür ein kleiner, süßer Transrapid. Drinnen geht's um Bergbautechnik und den Airbag von Mercedes-Benz. Die Klospülung funktioniert automatisch, mit Bewegungsmelder: Leider nicht nur beim Aufstehen, sondern auch schon beim Hinsetzen und zwischendurch. Im Deutschen Museum Bonn, kleinerer und neuerer Ableger des großen Münchener Hauses, zeigt die deutsche Wissenschaft, Forschung, Technik und Industrie, was sie kann. Und um den Horizont zu erweitern, bemüht man sich auch um die Kunst. „Art & Brain“ heißt die Ausstellungsreihe: zeitgenössische Künstler arbeiten zum Thema „Gehirn“.

Ihren Ursprung hat die Idee im Forschungszentrum Jülich, das seit einigen Jahren die Kernforschung zurückfährt und sich unter anderem verstärkt mit Hirnforschung beschäftigt. Dort veranstaltete Hirnforscher Ernst Pöppel und der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist 1995 unter dem Motto „Art & Brain“ einen Kongreß mit Wissenschaftlern und Künstlern. An der anschließenden Ausstellungsreihe beteiligten sich unter anderen die Documenta- Schweinehirten Carsten Höller – der gern schon mal Euphorisches zum Thema Gentechnik produziert – und Rosemarie Trockel mit einem „Mückenbus“. Dann war aber plötzlich das Geld alle.

Mit einem kleinen dadaistischen Lachen

Erst durch die „mutige Unterstützung der Marketing-Abteilung von Tomapyrin Schmerztabletten“, so Museumsdirektor Frieß, konnte „Art & Brain“ fortgesetzt werden: Hirnkunst im Zeichen der Kopfschmerztablette. Ein kleines „dadaistisches Lachen“ habe er sich denn auch nicht verkneifen können, meinte Durs Grünbein, ganz Literat, als er zusammen mit dem Künstler Via Lewandowsky die gemeinsame Arbeit für das Deutsche Museum Bonn vorstellte.

Doch eigentlich ist die Installation „Des Künstlers Hirn“ überhaupt nicht witzig gemeint. Schon früher hat Lewandowsky mit seinen verfremdeten anatomischen Zeichnungen die verletzliche Oberfläche des Menschen angekratzt und das Innere ans Licht gezerrt, während Grünbein sich in der Literatur am Physiologischen abarbeitet, mit einer Präzision, die an Benn und Büchner geschult ist. Was die beiden, die seit über zehn Jahren immer wieder Projekte zusammen realisieren, verbindet, ist die Lust am sezierenden Blick. Bei „Des Künstlers Hirn“ geht es um die Autopsie des eigenen Körpers, um den Tod himself.

Zu sehen ist eine runde, glänzende Stahlsäule. Ihre Höhe entspricht Via Lewandowskys Körpergröße. Sie schließt mit einer durchsichtigen, runden Glaskuppel, einer kleinen Ausstellungsvitrine ab. Auf dem Boden der Vitrine gurgelt Wasser einen Abfluß hinunter: eine Videoprojektion. Der Abfluß gehört zu einem Obduktionstisch. Gegenüber der Säule hängt ein Bild: Ein Kopf im Profil, der Schädel sauber aufgeklappt. Das Gehirn ist in all seinen feinen Windungen zu erkennen. Das Gesicht ist das Gesicht des Künstlers. Via Lewandowsky hat seinem Ausgangsmaterial, einer anatomischen Zeichnung, in der digitalen Bearbeitung seine eigenen Züge gegeben. Unter dem Kopf ein Text – Lewandowskys Testament. Nach seinem Tod soll sein Schädel geöffnet, sein Gehirn herausgenommen und unter die Glaskuppel der Säule gelegt werden.

Der zentrale Punkt der Installation ist also eine Leerstelle, das Kunstwerk bis auf weiteres virtuell. In der leeren Vitrine flimmert vorweggenommene Realität; die Frage, was den Menschen ausmacht, überkreuzt sich mit dem Bewußtsein von Vergänglichkeit und Tod. Den Sitz der Identität, des Bewußtseins, dessen, was früher Seele hieß, hat schon das ausgehende 19. Jahrhundert ins Hirn verlegt. Doch das nackte Organ ist ein vergeblich seziertes Rätsel. Was innen ist, davon redet unter der Vitrine eine Laufschrift: Durs Grünbeins Mantra zum Thema Ich. Das Gesicht in den Händen vergraben, soll man die Augen zumachen und sich nicht erinnern: Richte dich ein in den eigenen Wänden / aus Jochbein Schädel und Gehirn / bleib so der Kopf ist kein Zwinger.

Da steht es nun, das Kunstwerk, in Erwartung des Hirnes, und die Plaketten mit den Sponsoren davor erinnern an Hirnforschung und Pharmaindustrie. Die Haltung, die Lewandowsky und Grünbein hier vertreten, ist weder kritisch noch affirmativ, sondern autonom. Was gemacht werden wird, wird gemacht, sagt Grünbein; man kann Wissenschaft nicht aufhalten. Also will man zugucken – und selbst rumsäbeln an den geheimnisvollen Zellen und Nervenbündeln, nicht zuletzt mit den Mitteln der Kunst.

In hundert Jahren, meint er, sei so etwas wie diese Arbeit wahrscheinlich nur noch eine rührende Geste. Er wird Recht haben. Doch eins noch: In dem Text, der da unter dem nicht anwesenden Hirn entlangflimmert, hätte das Wort „Spalt“ vielleicht nicht auftauchen sollen.

Durs Grünbein, Via Lewandowsky: „Des Künstlers Hirn“. Deutsches Museum Bonn, Ahrstraße 45, geöffnet noch bis zum 14. Juni 1998

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