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■ Die Wahrheitskommission in Südafrika beendet ihre Arbeit. Gerade weil sie auf Sanktionen verzichtete, war sie ein Erfolg, so Bischof Tutu„Die Vergangenheit anerkennen“

taz: Ein zentraler Teil der Arbeit der Wahrheitskommission ist nun beendet: die Anhörung von Opfern und Hinterbliebenen. Inwieweit haben sie zur Versöhnung beigetragen? Waren sie so etwas wie eine Therapie für die Nation?

Desmond Tutu: Ja, das könnte man so sagen. Einer der Erfolge der Kommission war, daß Leuten, die lange nichts galten, die Gelegenheit gegeben wurde, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Opfer, die 20, 30 Jahre lang Schmerz und Wut mit sich herumgetragen haben, ohne daß das jemand anerkannt hat. Die Kommission verschaffte ihnen ein Forum. Die Nation hat jetzt anerkannt, daß die Dinge, die sie zu erzählen haben, auch tatsächlich passiert sind. Das war sehr wichtig. Ein Auftrag des Gesetzes für uns war, opferorientiert zu arbeiten. Indem sie ihre Geschichten erzählen konnten, wurde die Würde der Opfer wiederhergestellt.

Viele Täter von einst haben in ihren Amnestieanträgen keine Reue gezeigt. Ist so Versöhnung überhaupt möglich?

Das Gesetz verlangt von den Antragstellern nicht, Reue zu zeigen. Man kann Reue nicht gesetzlich erzwingen. Tatsächlich haben die meisten Antragsteller ihre Taten dann doch bedauert – obwohl sie damit nichts gewannen, denn sie wären auch amnestiert worden, ohne dies zu tun. Meist haben ihnen die Opfer anschließend vergeben. Ich komme dabei immer wieder zu dem Schluß, daß wir ein außergewöhnliches Land sind. Ich meine das nicht arrogant. Aber wo sonst wäre es möglich, daß ein Präsident einen Mann, der ihn einst zum Tode verurteilen wollte, zum Mittagessen einlädt?

Der Prozeß war sehr opferorientiert. Hat man es damit aber den Tätern nicht zu leicht gemacht? Sogar vom Staat bezahlte Profikiller wie der ehemalige Geheimpolizist Eugene de Kock können mit einigem Recht behaupten, selbst Opfer zu sein – der politisch Verantwortlichen.

Wir hatten nicht den Luxus wie etwa Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, als es klare Sieger und Verlierer gab. Andererseits werden die Nürnberger Prozesse bis heute von manchen als Siegerjustiz betrachtet. Wir hatten in Südafrika eine Patt-Situation. Keine der beiden Seiten hatte gewonnen. Entweder konnte daraus ein Zermürbungskrieg entstehen, der endlos weitergehen würde – oder man mußte verhandeln. Da keine Seite gewonnen hatte, konnte letzteres nur mit Kompromissen geschehen. Hätte es keine Amnestieregelung gegeben, säßen wir jetzt nicht hier und könnten über Demokratie reden. Die Sicherheitskräfte hätten diesem Prozeß niemals zugestimmt, wenn sie gewußt hätten, daß sie bestraft würden. Das ist der Preis, den wir bezahlen mußten und ein Grund, warum es überhaupt eine Amnestieregelung gibt.

Der zweite sind die Kosten einer strafrechtlichen Verfolgung. Wir haben insgesamt etwa 7.000 Amnestieanträge erhalten. Lassen Sie uns annehmen, nur 1.000 davon wären vor Gericht verhandelt worden. Wie lange hätte das gedauert? Wie teuer wäre es gewesen? Nehmen Sie das Malan-Verfahren. Am Ende kamen alle frei. Es gibt keinerlei Garantie, daß ein Gerichtsverfahren auch wirklich zu einer Verurteilung führt. Und die Wahrheit wußte man am Ende auch nicht. Die Wahrheitskommission war ein bessere Möglichkeit, um herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Sie war von Anfang an so angelegt, daß sie nur eine begrenzte Lebensdauer hat. Nun können wir sagen, wir haben uns so intensiv wie möglich mit unserer Vergangenheit befaßt. Jetzt können wir dieses Kapitel abschließen und uns auf die Zukunft konzentrieren.

Man hat der Kommission vorgeworfen, daß sie zuwenig von politischen und zu sehr von theologischen Motiven bestimmt war.

Die Wahrheitskommission war das Ergebnis eines Kompromisses, das darf man nie außer acht lassen. Wir waren uns darüber einig, daß niemand so tun sollte, als ob es die Vergangenheit nicht gegeben hätte. Ich glaube, wir waren uns auch darüber einig, daß sich in dieser Vergangenheit schreckliche Dinge zugetragen hatten. Die Nationalisten haben uns allerdings angegriffen und uns alles mögliche vorgeworfen. Sie haben schon, ehe die Wahrheitskommission überhaupt existierte, entschieden, daß sie eine „Hexenjagd“ sein werde. Trotz aller jetzt vorliegenden gegenteiligen Beweise werden wir sie nicht vom Gegenteil überzeugen können. Denn wir haben die Beweise geliefert, daß sie schuldig sind. Daher rührt ihre Wut.

Die Kommision ist nicht perfekt. Aber in einer Welt, die nicht ideal ist, ist sie nicht das schlechteste Modell.

Glauben Sie, daß die Entscheidung für die Amnestieregelung Südafrika den Weg weist, sich nicht jahrzehntelang mit den Traumata der Vergangenheit herumzuschlagen?

Ich hoffe es. Menschen sind komplexe Geschöpfe. Man weiß nie, was zu unüberwindlichen Schuldgefühlen führt. Aber es ist doch eine Tatsache, daß die Vergangenheit wiederkehrt, wenn man sich nicht mit ihr befaßt. Ich war vor zwei Jahren in Nürnberg, in dem Saal, in dem die Prozesse stattfanden, auf einer Podiumsdiskussion. Mein Eindruck war, daß die Deutschen, abgesehen davon, daß sie mit der Siegerjustiz nicht einverstanden waren, sich nie wirklich damit abgefunden haben, was passiert war – und auch nicht damit, als Nation so ungeheurer Verbrechen schuldig zu sein. So ist zu erklären, daß viele noch heute jede Auseinandersetzung verweigern. Wir hoffen, daß unser Weg zu einem besseren Ergebnis führt.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, zwar hohe moralische Ansprüche zu vertreten, tatsächlich aber zweierlei Maß anzulegen: eines für die Apartheidtäter und ein anderes für die Befreiungsbewegungen.

Ja, das stimmt (lacht). Jeder von uns macht moralische Unterscheidungen. Ob jemand in Notwehr oder aus Habgier tötet, macht für die meisten Menschen einen moralischen Unterschied. Die, die gegen ein ungerechtes System gekämpft haben, können nicht auf die gleiche moralische Ebene gestellt werden wie jene, die es aufrechterhalten haben. Das ist die moralische Unterscheidung.

Aber: Was die Amnestierung betrifft, ist ein Mord eine grobe Menschenrechtsverletzung – egal, wer ihn verübt hat. Das ist juristisch ausgewogen, moralisch aber nicht neutral. Ich habe nur einmal ernsthaft mit meinem Rücktritt gedroht – und das war, als der ANC sich nicht dazu entschließen wollte, Amnestien zu beantragen. Ich habe damals gesagt: Wenn ihr euch selbst amnestiert, dann werde ich zurücktreten. Interview: Kordula Doerfler

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