piwik no script img

Wenn aus Menschen Frachtgut wird

Romantisch ist das Schicksal „blinder Passagiere“ allenfalls in Seefahrtsromanen. Vielen droht die Abschiebung  ■ Von Elke Spanner

Hamburg (taz) – Über eine großflächige Seekarte gebeugt, studiert der Erste Offizier eingehend seine Route. Die „Münster“ wird noch mit Containern beladen, das Schiff soll erst am Abend auslaufen. Trotzdem blickt der Seemann nur flüchtig von seiner Karte auf. Was der „blinde Passagier“ macht? „Kein Wunder, daß es dem schlechtgeht.“ Für den Liberianer Prince Jackson hat der Erste nur ein Schulterzucken übrig. „Der hat halt geglaubt, er hat es geschafft. Und jetzt muß er zurück.“ Damit ist für ihn alles gesagt. Er geht an Deck.

Am Gründonnerstag hatte Jackson als blinder Passagier auf einem unter deutscher Flagge laufenden Containerschiff den Hamburger Hafen erreicht. Dann sollte er mit der „Münster“ abgeschoben werden. Erst in letzter Sekunde schafft es Jackson, aus der Haft heraus einen Asylantrag zu stellen – die „Münster“ tritt die Seereise ohne ihn an.

Rund hundert blinde Passagiere erreichen jährlich den Hamburger Hafen. Jackson ist ein Einzelfall unter ihnen – er konnte fürs erste verhindern, abgeschoben zu werden. Der Anteil derer, die Asyl beantragen, liegt nur bei acht bis zehn Prozent. Der Grund: Die Chance auf einen Antrag hat nur, wer schon vor seiner Überfahrt um die rechtlichen Möglichkeiten weiß. Bereits an Bord werden die Weichen dafür gestellt, daß wer von der Besatzung entdeckt wird, das Schiff nicht in die Freiheit, sondern nur in die Gefängniszelle verlassen kann. Über Funk alarmiert, steht im Hafen die Wasserwacht zum Empfang bereit.

Umgehend erlassen die Wasserwächter einen sogenannten Zurückweisungsbeschluß. Juristisch gesehen ist damit der Flüchtling nicht in die Bundesrepublik eingereist. Er wird im Gefängnis verwahrt, bis das nächste Schiff ins Herkunftsland ausläuft. Auch Prince Jackson wurde wie Frachtgut von einer Zelle zur nächsten verbracht: vom Schiff wegen Unterkühlungen kurz ins Krankenhaus, von dort in die Untersuchungshaftanstalt und schließlich ins Abschiebegefängnis Glasmoor. Erst da klärte ihn ein Mitgefangener darüber auf, daß er sich in Deutschland befindet. Jackson selbst hatte geglaubt, in England zu sein.

Das Verhalten der Seeleute, die blinde Passagiere, auch „Stowaways“ genannt, entdecken, ist entscheidend für deren Chancen. Doch Kapitäne sind von ihren Reedereien abhängig – und diese haben kein Interesse daran, die Flüchtlinge zu unterstützen. In Deutschland sind die Reedereien gesetzlich zu seinem Rücktransport verpflichtet – und zur Übernahme sämtlicher Kosten, die bis dahin entstehen.

Infolge des Kostendrucks machen die Schiffseigner das Interesse der europäischen Länder an einer möglichst perfekten Abschottung zu ihrer eigenen Sache. 1996 warf die Besatzung des dänischen Frachters „Karen Clipper“ einen Westafrikaner, der sich an Bord versteckt hatte, 25 Seemeilen vor der Küste Sierra Leones ins haiverseuchte Meer. Im Indischen Ozean retteten Fischer im Jahr 1985 vier junge Männer aus Tansania, die von einem Frachtschiff aus Süd-Korea über Bord geworfen worden waren. Andere Handelsschiffe hatten die Herumtreibenden ignoriert.

Weltweit gibt es Unternehmen, die Reedereien gegen das „Risiko blinder Passagier“ versichern. Angeblich stehen die Firmen nicht allein mit Geld, sondern auch mit Pässen zur Verfügung, falls die Rückfahrt des Stowaway an Einreisepapieren zu scheitern droht – ein staatenloser Vietnamese soll einmal mehr als zwei Jahre auf einem Schiff mitgefahren sein, weil kein Land bereit war, ihn aufzunehmen. Normalerweise muß ein Flüchtling bei der Botschaft persönlich vorgeführt werden. Anders, wenn die Versicherungen die Sache in die Hand nehmen. Zum Beispiel im Falle von Jackson Andrews, als dieser im Januar 1995 nach Deutschland kam. Andrews ist Liberianer, wurde aber mit einem „Travel Certificate“ nach Ghana abgeschoben. Auftraggeber: der private Versicherer Pandi Service. Der Geschäftsführer der Versicherung in Hamburg, Ronald Hörnicke, weiß: „Wo die Papiere herkommen, interessiert die Ausländerbehörde überhaupt nicht.“

Vor zwei Jahren wollte sich das Bremer Innenministerium die Dienste der Privatfirma zunutze machen. Das Ministerium plante eine Art „Abschiebung nach Afrika“: Der Pandi Service sollte die Flüchtlinge ohne Papiere in ein beliebiges afrikanisches Land ausfliegen. Erst vor Ort sollten die MitarbeiterInnen sich auf die Suche nach Papieren und einem Land machen, das zur Aufnahme bereit ist. Dieses Projekt scheiterte zwar an der Intervention der Bremer Ausländerbeauftragten Dagmar Lill. Es liegt jedoch nahe, daß die „Abschiebung nach Afrika“ in der Praxis dennoch längst umgesetzt ist.

Seit Jahren schon gibt es Hinweise darauf, daß der Verband der Versicherungen, der „P & I- Club“, an einem unbekannten Ort in einem westafrikanischen Land ein „Sammellager“ für abgeschobene Stowaways unterhält. Von dort aus sollen sie dann in die Länder weitergeleitet werden, die bereit sind, Papiere auszustellen.

Das Containerschiff „Münster“ fährt an die Elfenbeinküste. Obwohl Prince Jackson damals dort an Bord gegangen war, sollte er nun bereits in Dakar das Schiff verlassen, wie der Kapitän erzählt. In der senegalesischen Hauptstadt, so verrät der Seemann, sollte er vom P & I-Club abgeholt werden – womit der Ort des Sammellagers endlich bekannt sein dürfte.

Neues Buch zum Thema: Marily Stroux/Reimer Dohrn: „Blinde Passagiere“. Verlag Brandes & Apsel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen