„Kohl darf nicht durch den Osten gewinnen“

■ Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse zum Streit über Sachsen-Anhalt

taz: Möchten Sie im Moment mit Reinhard Höppner tauschen?

Wolfgang Thierse: Ich glaube nicht. Reinhard Höppner steckt in einer sehr schwierigen Entscheidungssituation, aus der es keinen klaren oder leichten Ausweg gibt.

Was würden Sie an seiner Stelle tun?

Ich würde zunächst einmal ernsthaft versuchen, mit der CDU zu reden, ohne mir von ihr Bedingungen für eine Koalition diktieren zu lassen; die CDU ist der klare Verlierer der Wahl. Danach würde ich entscheiden, ob eine Große Koalition möglich ist oder nicht.

Heißt das, Höppner hat bisher nicht ernsthaft mit der CDU verhandelt?

Er hat erst einmal nur über den parlamentarischen Umgang mit der DVU gesprochen, und das völlig zu Recht, weil der erstmalige Einzug einer rechtsextremistischen Partei in ein ostdeutsches Landesparlament ein tiefer Einschnitt ist. Es muß jetzt eine gemeinsame Verabredung darüber geben, wie verhindert werden kann, daß die DVU das Landesparlament als eine Bühne für rechtsextremistische Propaganda benutzt. Daß sich die CDU diesem Ansinnen verweigert hat, ist schon bestürzend.

Warum reagiert die Bonner SPD darauf eigentlich so gereizt? Höppners Begründung für den Abbruch der Gespräche mit der CDU sei „Kindergarten“, heißt es aus Schröders Umgebung.

Ich warne vor Übertreibungen. Die SPD ist kein loser Verbund von Landesparteien, sondern eine gemeinsame Partei, die 1998 nur eine verdammte demokratische Pflicht und Schuldigkeit hat: Kohl nach 16 Jahren endlich abzulösen. Das muß in Magdeburg berücksichtigt werden. Die Ablösung Kohls liegt im übrigen auch im Interesse Sachsen-Anhalts.

Das bestreitet dort keiner. Glauben Sie, daß eine PDS-tolerierte Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt den Wahlsieg der SPD in Bonn gefährdet?

Ich weiß nicht, ob das im Westen Stimmen kosten wird, das ist schlecht vorauszusagen. Auf die Wähler im Osten hat das eher abschreckende Wirkung. Sicher ist aber, daß die CDU diesen Vorgang dazu benutzt, mit dem Thema PDS eine regelrechte Hetzkampagne gegen die SPD zu starten. Die CDU will Emotionen und Haß schüren, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Genau das muß die SPD verhindern, wenn sie gewinnen will.

Und das geht nur mit einer Großen Koalition in Sachsen-Anhalt?

Es geht nicht um eine Große Koalition um jeden Preis. Reinhard Höppner entscheidet das mit seinen Genossen allein – unter der Maßgabe, daß ein Maximum an sozialdemokratischer Politik und an ostdeutscher Glaubwürdigkeit der SPD gewahrt bleibt.

Genau das will Höppner – mit einer Minderheitsregierung.

Nach einem solchen schwierigen Wahlergebnis kann man nicht weitermachen, als sei nichts geschehen. Unter den durch die DVU veränderten Konstellationen sind ernsthafte Gespräche mit der CDU notwendig. Wenn diese scheitern, dann kommt es eben zu einer Minderheitsregierung. Das wäre keine Katastrophe.

Angenommen in Sachsen-Anhalt wäre am 27. September 1998 gewählt worden, parallel zur Bundestagswahl. Was hätte Gerhard Schröder seinen Genossen in Magdeburg dann empfohlen?

Ich kann darauf keine Antwort geben. Wir haben es jetzt mit einer schwierigen Situation zu tun und müssen darauf auch jetzt eine Antwort finden.

Die Frage zielt darauf, daß der Osten der Wahltaktik im Westen geopfert wird.

Noch einmal: Wenn wir uns einig sind, daß wir endlich einen Regierungswechsel brauchen, dann müssen wir alles tun, das diesem Ziel dient. So einfach ist das. 1990 und 1994 haben die Ostdeutschen wesentlich dazu beigetragen, daß Helmut Kohl die Wahlen gewonnen hat. Ich hoffe nicht, daß sich das vor lauter Edelmut und Oststolz 1998 wiederholt. Das fände ich fatal. Interview: Jens König