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Das Spitzkraut soll auf den Fildern bleiben

Die Kreisstadt Echterdingen-Leinfelden südlich von Stuttgart wehrt sich gegen den Messeneubau. Entschädigungssumme bisher nicht akzeptiert. Ministerpräsident Teufel droht Bauern mit Enteignung  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Die Filderebene südlich von Stuttgart ist fruchtbares Spitzkrautland. Zur Erntezeit türmen sich Berge dieser Weißkohlart an den Feldrainen. Bauer Karl Kizele ist Landwirt in dritter Generation, effizient, hoch spezialisiert auf Feingemüse, direkt vermarktend.

Sein Aussiedlerhof liegt am Hang, eingeklemmt zwischen Autobahn und Bundesstraße 27. Nicht gerade eine Idylle. Im Südosten glänzen die stählernen Terminals des Flughafens. Auf der anderen Seite des Tales präsentiert die baden-württembergische Landeshauptstadt ihre zerrissene Skyline, eine seltsame Mischung aus Häuslebauerei und klotziger Metropolensehnsucht. Bauer Kizele ist in Eile. Es ist Pflanzzeit für Brokkoli. Die Spitzkrautsetzlinge, auf dem Saatfeld unter Folie geschützt, müssen noch warten und wachsen: „Mir schaffet immer.“ Einer seiner Nachbarn hat sich auf die Blumenzucht spezialisiert. Oben dröhnen die Flugzeuge, unten brummeln Hummeln über Blaukissen, Blutweiderich und Mädchenauge.

Wäre es nach dem Willen der Stadt- und der Landesregierung gegangen, dann wäre hier, durchaus kein Stilbruch in der Landschaft, bald ein riesiger Parkplatz. Und nebendran, in Richtung Flughafen, entstünde die Fildermesse, rund 60 Hektar vom Killesberg in der Innenstadt ausgelagertes Messegelände, 1,5 Milliarden teuer, verkehrsgünstig und flughafennah. Dagegen machten nicht nur Bauer Kizele und seine Nachbarn mobil, sondern die Mehrheit der Bevölkerung in der Kreisstadt Leinfelden-Echterdingen wehrt sich.

Oberbürgermeister Wolfgang Fischer (SPD) ist unversehens zu einer der Spitzen der Bewegung geworden. Im Leinfeldener Fachwerk-Rathaus hinter einem Meer von Narzissen regiert der direktgewählte Schultes über ein buntgemischtes Parlament, in dem die Befürworter, vor allem aus der CDU, in der Minderheit sind. Die Bevölkerung habe, meint er, „einfach genug“. Sie wolle auch die inzwischen modifizierten Konzepte nicht.

Die meisten der rund 100.000 Menschen auf den Fildern wollen gar keine Messe. Sie wollen statt dessen die ihnen einst garantierten Felder, Frischluftzonen und Naherholungsgebiete erhalten. Sie haben die Autobahn am Ortsrand, die verkehrsreiche B27, den Flughafen nebst Nachtflügen ertragen. Nun stehen der Ausbau der Autobahn und der S-Bahn-Strecke zur Intercity-Tauglichkeit und die geplante Flughafenerweiterung nebst Bahnhof ins Haus. Die gebotenen 35 Millionen Mark Entschädigung lehnte der Gemeinderat als „unzureichend“ ab. Ein rigoroses „Nein“ scheiterte am Stimmenpatt. Die knappe Mehrheit formulierte dann sibyllinischer. Die Stadt sei nur dann weiter gesprächsbereit, „wenn der Messe vergleichbare Belastungen von der Stadt genommen werden“. Ein Verhandlungspoker um mehr Geld, die Überdachung oder Verlegung der Bahnstrecke, mehr Lärmschutz? OB Wolfgang Fischer reagiert auf diese Mutmaßungen knapp: „Alles Unsinn!“ Um die Gemeinde wirklich zu entlasten, „müßte das Land ja mindestens noch mal weit über 100 Millionen drauflegen.“ Er tendiere mittlerweile zum Bürgerentscheid.

Seit Anfang des Jahres war der vierjährige Streit eskaliert. Ministerpräsident Erwin Teufel machte die Fildermesse zur Chefsache. Er drohte den Echterdingern an, schon im Mai ein eigens gegen sie gerichtetes, neues Gesetz zu erlassen, die verkaufsunwilligen Grundstücksbesitzer zu enteignen und spätestens 2002 mit dem Bau zu beginnen. Im evangelischen Echterdinger Gemeindehaus sitzen die Bewohner des Ortes, den Goethe auf seiner Wanderung nach Süden „ein wohlgebaut', heiter Dorf“ nannte. Die Mitglieder des Aktionsbündnisses „Die Filder leben lassen“ haben den ersten Schreck und die Panikmeldungen über das „Enteignungsgesetz“ bereits gut verdaut und machen sich juristisch schlau. Zum einen könne der Staat nur dann enteignen, wenn dies unmittelbar dem Gemeinwohl diene, nicht aber zum Vorteil der Privatwirtschaft. Zum anderen könne so ein Gesetz keinen konkreten Ort für die Messe festlegen. Der müsse in einem neuen „Suchverfahren“ erst ausgedeutet werden. Das aber dürfte, um höchstrichterlichen Bestand zu haben, nicht gleich auf Echterdingen zielen. Alternativ und wirtschaftlich vernünftiger böten sich sowohl der Ausbau des Killesbergs als auch ein freigewordenes Militärgelände in Böblingen-Sindelfingen an. Ähnliche Bedenken stehen auch in mittlerweile drei juristischen Gutachten: einem vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), einem internen, unveröffentlichen der Landesregierung und dem Vernehmen nach auch in einem dritten, ebenfalls vom Land in Auftrag gegebenen des Rechtsexperten Professor Dolde, das bisher auch noch unveröffentlicht ist.

Fritz Auch-Schwarz beackert die Scholle unterhalb des Hofes von Karl Kizele auf dem fruchtbaren Lößboden der Filderebene, deren Lehmuntergrund auch bei Trockenheit Feuchtigkeit und gute Ernte garantiert. Bauer Auch- Schwarz ist Vorsitzender des landwirtschaftlichen Ortsvereins und kündigte der Landesregierung an, daß die betroffenen Landwirte auf jeden Fall klagen werden. Sowohl dann, wenn das neue Gesetz einzig und allein zur „Lex Echterdingen“ werde, als auch, bei einer Niederlage, gegen das nachfolgende Planfeststellungsverfahren. Bauer Kizele ist, „hoch motiviert und fest entschlossen“, am selben Abend zu einer anderen Diskussion in der Region geeilt: „Wir sind überall dabei!“ „Wir Landwirte“, wird er dort vermutlich wieder sagen, „stehen im Schulterschluß in vorderster Front. Wir wissen, wofür wir kämpfen.“

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